Grabesstille
Bingle bin. Und wenn einem dieser Kerlchen oder Cody etwas zustieße, wäre ich fertig mit der Welt. Was haben Sie denn morgen für Verpflichtungen? Können Sie da den Schlaf nachholen?«
»Der Schlaf macht mir keine Probleme. Ich habe heute Nacht ein bisschen geschlafen – so viel, wie ich brauche. Ich soll ja schließlich Ihr …«
»Bodyguard sein?«
»Wie wär’s mit – Begleiter? Und was haben Sie für Verpflichtungen?«
»Am Nachmittag habe ich einen Termin bei Jo Robinson. Dann arbeite ich von zehn Uhr abends bis zwei Uhr morgens, aber ich glaube, Frank beabsichtigt, Sie noch vorher abzulösen.«
Schweigend saßen wir eine Zeit lang da. Ich dachte über die Hausaufgaben nach, die mir Jo gestellt hatte. Ich hatte mich nicht allzu schlecht geschlagen, doch da war noch diese Parzival-Geschichte.
»Ben?«
»Hmm?«
»Bevor Parrish entkommen ist –«
»Bevor die anderen ermordet wurden«, korrigierte er, wie immer ungehalten über meinen Versuch, es nicht auszusprechen.
»Bevor die anderen ermordet wurden«, konzedierte ich. »Sogar noch bevor wir Julia Sayre gefunden hatten, hat Sie etwas belastet.«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich meine, Ben – um den guten, alten Parzival zu zitieren: ›Was fehlt Ihnen?‹«
Er wandte den Blick von mir ab.
»Ich habe das Gefühl, es hat irgendetwas mit Reportern zu tun.«
Er antwortete mir nicht.
»Oder war es eine spontane, ganz persönliche Abneigung gegen mich?«
»Natürlich nicht.«
»Was war es dann, was Sie belastet hat? Was hat Sie so wütend gemacht? Warum konnten Sie nachts nicht schlafen?«
»Viele Gründe«, antwortete er leise.
Ich wartete. Er versuchte, mich mit einer Liste der Katastrophen mit zahlreichen Toten abzuspeisen, an denen er in jüngster Zeit gearbeitet hatte.
»David hat mir davon erzählt«, sagte ich. »Und obwohl ich nicht behaupten möchte, dass ich die Kraft hätte, an einem dieser Fälle zu arbeiten, geschweige denn an so vielen, wie Sie es getan haben, hat David angedeutet, dass bei Ihnen noch etwas anderes im Argen liegt.«
»Ja?«, sagte er. »Das wundert mich. David hat normalerweise Vertrauliches für sich behalten.«
»Versuchen Sie nicht, jetzt David zum Thema zu machen. Wenn Sie bei keinem dieser Katastrophenfälle ein ganz besonders schreckliches Erlebnis mit einer Reporterin hatten, dann glaube ich nicht, dass Sie mich deshalb angefaucht haben, seit ich zum Team gestoßen bin.«
Er zögerte und sagte dann: »Ich hätte gute Lust, etwas zu erfinden. Das wäre einfacher, als Ihnen die Wahrheit zu sagen.« Er seufzte. »Aber nach allem, was Sie für mich getan haben, sollte ich Ihnen wenigstens reinen Wein einschenken.«
»Sie schulden mir nichts. Erzählen Sie es mir, weil wir befreundet sind, oder erzählen Sie es mir überhaupt nicht.«
Er blickte in den Garten hinaus. Mit leiser Stimme sagte er: »Es fängt reichlich schmutzig an, fürchte ich. Das Ende einer Beziehung. Sie erinnern sich an Camille?«
»Ja – die blonde Sexbombe, die Sie im Krankenhaus besucht hat.«
Er nickte. »Camille ist intelligent und witzig, liebt die Natur und ja, wenn wir uns trafen, wusste ich, dass jeder Mann, der sie an meinem Arm sah, grün vor Neid war.«
»Und was war der Haken daran?«
»Ich vermutlich. Irgendwann wurde ihr klar, dass ich mich nicht in die Richtung ändern würde, wie sie es sich erhofft hatte.«
»Was wollte sie denn anders haben?«
»In erster Linie meine Arbeit. Sie hatte nichts dagegen, mit einem Anthropologen zu gehen, aber die Gerichtsmedizin war ihr komplett zuwider – die viele Zeit, die sie mir raubte, der Gedanke daran, was ich tat, und der Geruch meiner Kleidung, wenn ich nach Hause kam. Sie hoffte stets, dass ich es Leid werden und eine Position an einem Museum annehmen würde. Schließlich machte ich ihr klar, dass ich die Gerichtsmedizin nie aufgeben würde, da sie mir wichtig sei. Sie fragte, ob mir die Arbeit wichtiger sei als sie, und ich fürchte, ich habe mit meiner gewohnten Taktlosigkeit geantwortet.«
»Und so sind Sie schließlich ausgezogen.«
»Ja. Anfangs hat sie mir sehr gefehlt, aber im Großen und Ganzen wusste ich, dass uns die Trennung besser entsprach. Das Leben mit David, Bingle und Bool gefiel mir. Und nicht lange danach brauchte ich Davids Unterstützung.«
Er schwieg so lange, dass ich schon glaubte, er wolle sich mir nun doch nicht anvertrauen. Doch schließlich fuhr er fort.
»Ein paar Wochen, nachdem ich ausgezogen war, bat mich Camille, mit ihr Mittag
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