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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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habe, ihn über unsere Suchaktionen berichten zu lassen. Sie hat mir ehrlich Leid getan.«
    »Haben Sie je mit ihr darüber gesprochen?«
    »Nein. Das einzige Mal, dass ich sie seitdem gesehen habe, war in Ihrer Gegenwart, damals im Krankenhaus. Was sollte ich auch sagen? ›Du hast mich verraten?‹ Für sie hätte das so etwas Ähnliches geheißen wie ›Herzlichen Glückwunsch‹. Außerdem habe ich mich selbst verraten.«
    »Dann bleibt nur noch eine Frage offen«, sagte ich. »Wann werden Sie sich selbst verzeihen?«
    Die Antwort darauf blieb er mir schuldig.
     

55
     
    DIENSTAG MORGEN, 26. SEPTEMBER
    Las Piernas
     
    Ich war wieder zu Bett gegangen und hatte gerade eine Stunde geschlafen, als das Telefon klingelte. Ich sah auf den Wecker. Kurz vor sechs.
    Frank nahm den Hörer ab. »Hi, Pete«, sagte er zu seinem Partner und lauschte dann eine Weile. Er setzte sich auf und begann sich Notizen zu machen. »Okay, ich komme, so schnell ich kann. Ist der Leichenbeschauer schon verständigt? Gut … ja, bis gleich dann.«
    Er legte auf, reckte sich und begann sich anzuziehen.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    Er zögerte und antwortete dann: »Der Schädel im Kühlschrank, weißt du noch? Anscheinend hat er beschlossen, uns jetzt den Rest der Leiche zu servieren.«
    Ich erschauderte. »Wo?«
    »Offenbar hat er sie auf Eis gelagert. Eine Gruppe Kunsteisläufer hat eine böse Überraschung erlebt, als sie heute Morgen zum Training auf die Eislaufbahn kamen.«
    »Er ist in die Eislaufbahn eingebrochen?«
    »Mhm. Der erste Polizist, der am Fundort eintraf, meinte, es sähe aus, als sei die Leiche tiefgefroren. Und ohne Kopf.« Er hielt inne und legte sein Pistolenhalfter an. »Hoffentlich ist es die, die zu unserem Schädel gehört. Vermutlich findet er es tierisch witzig, mehr als eine Tote zu haben und sie zu mischen.«
    »Du solltest es Ben sagen. Er hat versucht, den Schädel zu identifizieren. Vielleicht kann er dir weiterhelfen.«
    Frank wollte mich nicht alleine lassen, daher zögerte er, Ben zu fragen, ob er ihn begleiten wolle. Also versprach ich, nicht für den Express – bei dessen Chefredakteur ich momentan nicht besonders beliebt war – über die Ereignisse auf der Eislaufbahn zu schreiben, und er beschloss, dass ich mitkommen und am äußeren Rand des Fundorts warten durfte, wo das massivste Polizeiaufgebot in ganz Las Piernas zur Verfügung stünde, um seine Frau vor Nick Parrish zu beschützen.
    Hätte die Eisbahn nicht einigermaßen in der Nähe der Tierklinik gelegen, wäre Ben wohl Frank und mir an diesem Morgen nicht unbedingt gefolgt. Rückblickend wünschte ich manchmal, die beiden Gebäude hätten weiter voneinander entfernt gelegen.
    Mehrere Streifenwagen standen vor der Eislaufbahn. Frank ging als Erster hinein, während ich mich auf dem Parkplatz mit Ben unterhielt. Ein paar Minuten später begleitete mich Frank zu einer Stelle, die er als sicheren Ort zum Warten – sicher für mich und sicher für die Ermittlungen – auserkoren hatte.
    Dieser Ort entpuppte sich als ein überheizter, verglaster Warteraum mitsamt gasbetriebenem Kamin und Snackbar, ein Ort, wo sich die Eltern junger Eisläuferinnen sowie Eishockey-Witwen aufhalten konnten. An diesem wie an jedem anderen Tag wäre mir eine kalte, harte Tribüne, die näher am Geschehen war, lieber gewesen. Von meinem Warteplatz aus konnte ich nicht viel sehen. Der monströse Beamte, den Frank am Eingang postiert hatte, verbesserte die Sicht auch nicht gerade.
    Ich konnte sehen, dass flache Teppichstreifen, die normalerweise bei Preisverleihungen verwendet wurden, damit nichteislaufende Würdenträger auf die Eisfläche hinausgehen konnten, zu einem dicht gedrängten Grüppchen von Männern führten, unter ihnen Frank, Pete, Carlos Hernandez und andere. Die Leiche selbst konnte ich nicht sehen.
    Ben wurde von einem uniformierten Beamten hinausgeleitet. Als er sah, wo ich festgehalten wurde, lächelte er mir zu und winkte.
    Er schaffte es, ohne irgendwelche Probleme zu der Gruppe zu gelangen. Die Gruppe teilte sich ein wenig, und er ließ sich auf ein Knie herabsinken, um die Leiche genauer in Augenschein nehmen zu können, bis er auf einmal zu schreien begann.
    Er schrie Worte, aber ich weiß nicht, was für welche, da das Geräusch an sich eine Flut von Erinnerungen auslöste und mich daran zurückdenken ließ, wie er in den Bergen geschrien hatte, als er auf die Wiese lief, sodass ich den vergeblichen Versuch unternahm, gegen den Koloss an

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