Grabesstille
wahrscheinlich nicht so viel war, weil es Bingle schon besser zu gehen scheint.«
Später fragte ihn Frank: »Was ist denn auf diesen Videobändern – den beiden, die richtig zerschmettert worden sind?«
»Das sind Trainingsfilme. Wenn sich der Such- und Bergungstrupp aus Las Piernas – mitsamt dem Leichenhunde-Team – trifft, dann zeichnen wir unsere Sitzungen auf.«
»Es sind also Aufnahmen von Bingle?«
»Von Bingle und den anderen Hunden und ihren Trainern. David kommt auf den meisten vor. Ich habe mir ihn und Bingle angesehen. Bis jetzt bin ich nur auf einem Treffen gewesen. Die anderen Hundeführer haben mir gesagt, dass es ein zweiseitiger Lernprozess ist und Bingle bereits versucht, mit mir zu arbeiten, versucht, mich zu durchschauen, ebenso, wie ich versuche, ihn zu durchschauen.«
»Sind das Originalaufnahmen?«
»Ja, aber David hat Kopien für die anderen Gruppenmitglieder gemacht.«
»Haben Sie eine Namensliste von dieser Gruppe?«
»Ja.«
»Gut. Ich glaube, wir möchten uns mal ansehen, wer auf diesen Bändern vorkommt.«
»Das kann ich Ihnen sagen«, erklärte er. »Ich habe sie mir oft genug angesehen.«
Frank sah sich in dem Chaos um. »Möchten Sie heute nicht bei uns übernachten? Das ist näher bei der Tierklinik.«
»Ich arbeite heute Nacht«, sagte ich, »aber ich habe morgen erst nachmittags wieder Termine. Ich kann Ihnen tagsüber beim Aufräumen helfen.«
»Wir lassen Ihre Hintertür mit Brettern vernageln«, versicherte Frank. »Und wir werden das Haus von jetzt an überwachen.«
»Okay, okay«, sagte er und lachte. »Schon überzeugt. Offen gestanden war mir die Vorstellung, heute ohne Bingle hier zu übernachten, nicht gerade angenehm.«
Ben suchte Kleidung zum Wechseln heraus und legte sie auf den Rücksitz seines Wagens. Er wollte uns nachfahren. Als er schon in seinen Jeep steigen wollte, kam er eilig noch einmal zum Van herüber. »Warten Sie mal«, sagte er. »Es gibt einige Bänder, die nicht kaputt gegangen sind, nämlich die, die bei Ihnen zu Hause waren. Die müssten noch hinten im Van liegen.«
»Irene, ich sehe schon, was wir tun werden, bevor du heute Abend in die Arbeit gehst«, verkündete Jack und musterte die ungefähr zwanzig Videos in der Schachtel. »Soll ich Popcorn machen?«
53
MONTAG NACHT, 25. SEPTEMBER
Las Piernas
Er war wütend. Er ließ es sich nicht anmerken.
»Arme Motte«, sagte er ins Telefon, »du hättest natürlich als Erstes zu mir kommen sollen.«
Er war froh um die lange Schnur des Telefons in der Garage. Sie erlaubte ihm, auf und ab zu gehen, während er sich eine lahme Ausrede nach der anderen anhörte. Also wirklich, das war die Höhe!
Vor der Gefriertruhe hielt er inne und fuhr mit dem Finger über den Deckel. Das beruhigte ihn.
»Ja, meine liebe Motte, aber ich wusste bereits von diesem ersten Besuch im Haus von David Niles – das war dir doch klar, oder?«
In Wirklichkeit hatte Nick keine Ahnung gehabt, aber es konnte der Motte nicht schaden, ein bisschen intensiver an seine Allwissenheit zu glauben. Er war verwundet gewesen und hatte in dieses Rattenloch in Oregon flüchten müssen, als der Einbruch passiert war. Er hätte sich fragen müssen, woher die Motte bestimmte Dinge über Sheridan wusste.
»Ich muss jetzt auflegen«, sagte er ins Telefon. »Wir beide müssen uns später treffen. Auf dich allein gestellt, wäre das ein einziges Chaos geworden. Zu deinem Glück kann ich mich jetzt um dich kümmern, meine Motte. Warte auf meinen Anruf – und das meine ich ernst, kleine Motte. Du musst einfach warten. Du willst mich doch nicht verstimmen, oder?«
Mit Genugtuung lauschte er dem flehentlichen Tonfall der Motte. »Das habe ich auch nicht angenommen.« Er brach das Gespräch ab.
Er legte den Telefonhörer wieder auf und kehrte an die Gefriertruhe zurück. Er schloss sie auf, hob den Deckel und genoss den Schwall kalter Luft, der ihm ins Gesicht wallte.
Er blickte auf die gefrorene, nackte Leiche hinab und sagte: »Ich weiß, dass es ziemlich schwierig ist, unter diesen Umständen Fragen zu beantworten, mein Herz, aber möchtest du vielleicht tanzen?«
Er lächelte.
»Ich wusste, ich hätte deinen Kopf dranlassen sollen, nur für den Fall, dass derartige Fragen aufkommen. Ich hätte noch andere, vor allem über Du-weißt-schon-wen. Aber weißt du, ich glaube, ich kenne die Antworten auf diese Fragen ohnehin. Irgendwie bist du ein kalter Fisch.«
Er knallte den Deckel zu und lachte schallend.
Er
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