Grabesstille
Leichen zu finden – ihm beizubringen, wie ein Toter riecht?«
»Mein Fachgebiet bringt es mit sich, dass ich Zugang zu Knochen und anderen biologischen Materialien von Leichen habe. Aber manche Ausbilder benutzen eine synthetische Chemikalie, die nur zu dem Zweck hergestellt wird, um diese Hunde zu trainieren.«
Ich konnte meinen ungläubigen Blick nicht unterdrücken. »Nachgemachter Leichengeruch?«
»Ja. Verschiedene Zusammensetzungen für verschiedene Stadien der Verwesung.«
»Nicht unbedingt das, was man versehentlich zu Hause auf dem Teppich verschütten möchte, nehme ich an.«
Er lachte. »Nein, aber Bingle würde sich womöglich nicht daran stören. Hunden machen Gerüche, die wir grauenhaft finden, nichts aus. Für sie ist ein Geruch umso interessanter, je schlimmer er stinkt. Und für Bingle ist dieser Geruch mit Lob verbunden – wenn er ihn aufspürt, bekommt er eine Belohnung.«
»Aber selbst verwesende Tote müssen doch eigentlich einzigartig riechen, oder nicht? Zumindest schon aufgrund der unterschiedlichen Bedingungen, unter denen sie zurückgelassen werden – im Wald, in der Wüste, unter Wasser –«
»Sicher, in gewissem Maße schon. Er ist natürlich nicht nur auf einen einzigen Geruch trainiert. Das Beste ist, dass Bingle schon mehrere Jahre Erfahrung hat und weiß, wonach er suchen muss. Bingles Nase ist empfindlich genug, um einen einzigen Tropfen Blut aufzuspüren. Wenn Sie ihn an einem Auto riechen lassen, kann er Ihnen sagen, ob in dessen Kofferraum eine Leiche gelegen hat.«
»So, wie es mir mein Mann und sein Partner geschildert haben, klang es, als wäre Bingle ein Super-Hund.«
»O nein. Er hat seine Grenzen. Die Bedingungen müssen gut sein, damit er erfolgreich suchen kann, und es gibt Dinge, die ihn außer Gefecht setzen können. Aber seine massivste Einschränkung ist, dass ich gerade mit Ihnen rede.«
»Was meinen Sie damit?«
Er schmunzelte. »Wenn ich alles verstehen könnte, was er mir sagen will, würden wir bessere Resultate erzielen. Gott weiß, was er alles schaffen könnte. Rückblickend ist mir schon mehr als einmal klar geworden, dass ich ihn nur falsch verstanden habe. Er hat versucht, mir zu zeigen, wo etwas zu finden ist, aber ich habe darauf beharrt, meinen Kopf durchzusetzen. Manchmal sehe ich ihm an, dass er frustriert ist, wenn er sich abmüht, seinem begriffsstutzigen Trainer etwas klarzumachen.«
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Sie beide scheinen doch eine ziemlich gute Partnerschaft zu führen.«
»Tja, Partner«, sagte er zu Bingle, der auf der Stelle wachsam wurde, »bereit, es noch einmal zu probieren?«
Bingle kam rasch auf die Beine, sah David aber weiterhin erwartungsvoll an.
»¡Búscalos!«, befahl David und gab ihm das gleiche Handzeichen wie zuvor. »Such sie!« Unverzüglich machte sich der Hund wieder an die Arbeit.
David ließ ihn noch einmal zwanzig Minuten arbeiten, gab ihm dann wieder Wasser und ließ ihn ausruhen. Während der vierten Suchrunde zog der Hund sein Zickzackmuster plötzlich enger. Er trottete zwar immer noch von einer Seite zur anderen, wurde aber immer schneller. Er hielt inne und sah nach hinten zu David, mit gespitzten Ohren und konzentriertem Blick.
»Das ist ein Alarm«, erklärte David aufgeregt. »Was hast du gefunden?«, fragte er Bingle. »Zeig mir, wo es ist. Muéstrame dónde está. Sigue – geh weiter.«
Bingle setzte sich wieder in Bewegung, diesmal in gerader Linie.
»Woher haben Sie gewusst, dass es ein Alarm ist?«, fragte ich.
»Ich kenne ihn«, sagte David und eilte hinter ihm her. »Wenn er die Ohren so nach vorn gespitzt hat wie jetzt, ist das, als würde er sich mit mir absprechen. Ich bin Teil seines Rudels. Er fragt mich: ›Riechst du es denn nicht?‹« Während er sprach, behielt er den Hund im Auge und fügte dann hinzu: »Er hat etwas. Sehen Sie – der Geruch hat sich im Gras festgesetzt.«
Bingle rieb sein Gesicht im Gras und biss an den Halmen.
»¡Búscalo, Bingle!«, verlangte David. »Such es!«
Der Wind frischte erneut auf, und der Hund blieb stehen. Er hielt den Kopf hoch und schnupperte mit sich leicht auf und ab bewegender Schnauze, als bemühe er sich, mehr von einem bestimmten Geruch wahrzunehmen.
»Was hast du gefunden?«, fragte David noch einmal. »Was hast du gefunden, Bingle? Zeig’s mir! ¡Muéstramelo! ¡Adelante! «
Bingle sang einen hohen, zarten Ton und rannte dann weiter. Nach etwa zwanzig Metern machte er Halt. Ich sah, wie er aufgeregt um eine
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