Grabesstille
…«
Ben musterte mich, als wir langsam das Gewicht spürten. Ich versuchte mir meine Beklommenheit nicht anmerken zu lassen. Die Leiche war nicht schwer, aber das Wissen darum, was wir hielten, war belastend.
»Langsam … Was meinst du, David?«
»Es hält«, sagte David.
Ein schwappendes Geräusch ertönte. Das Plastik bewegte sich, als wäre es lebendig, und wogte auf mich zu.
»Ein bisschen höher, Andy und J. C.«, sagte Ben gelassen. »Vorsichtig …«
Wir hoben weiter an, während Ben uns anleitete und wir uns gegenseitig ansahen und auf die leichten Verschiebungen ebenso lauschten wie auf das leise Rascheln der Plastikfolie.
Als sie oberhalb der Grube war, richteten wir uns langsam auf, sodass wir aufrecht knieten und die Plastikfolie ein bisschen fester gespannt wurde. Ben wartete einen Moment, dann bat er Bob Thompson und Andy, beiseite zu treten. Zu viert hoben wir die Leiche behutsam weg von der Grube. Als Nächstes hielten Ben und David die Tote kurz allein und manövrierten sie in den Leichensack. Der Reißverschluss des Sacks wurde zugezogen und mit einem gewellten Metallsiegel gesichert. Die Trage befand sich schon unter dem Sack.
Ich drehte mich um und blickte in das Grab hinab. »O Gott!«
Die anderen liefen eilig herbei, stellten sich neben mich und spähten hinab.
Verfleckt und modrig, aber akkurat angeordnet, waren darin weibliche Kleidungsstücke ausgelegt: eine schwarze Jacke, ein schwarzer Rock, eine einstmals weiße Bluse, schwarze Pumps und eine schwarze Handtasche. Ein Höschen. Ein BH. Ein Unterrock. Dazu kamen noch andere Gegenstände – mehrere Kerzen, etwas Draht, ein Messer. Eine goldene Halskette.
Manche Gegenstände lagen lose da, andere waren in durchsichtige Plastiktüten eingelegt.
Die Polaroid-Fotos steckten in Tüten.
So klar mir auch war, dass das Fotos waren, die nie hätten gemacht werden dürfen, von Dingen, die nie einem Menschen hätten zustoßen dürfen, konnte ich den Blick doch nicht von ihnen abwenden, während ich mir die ganze Zeit wünschte, sie lägen nicht da.
Sie starrten zurück.
Sie starrte zurück.
Ich spürte eine starke Hand auf meiner Schulter, und jemand sagte: »Kommen Sie weg hier. Kommen Sie und setzen Sie sich zu Bingle. Kommen Sie. Er macht sich Sorgen um Sie.«
Ben, merkte ich. Er zog mir die Maske vom Gesicht und redete weiter auf mich ein. Ich weiß nicht, was er sagte. Ich ließ mich von ihm zu Bingle hinüberführen. Der Hund rieb die Schnauze an mir, als ich mich neben ihm niederließ.
Ich klammerte mich an Bingle und blickte zurück zum Grab und zu dem schwarzen Leichensack.
Ich dachte an ein Mädchen, das einst seiner Mutter den Tod gewünscht hatte, und begriff, dass Julia Sayre sich danach gesehnt haben musste, der Wunsch ihrer Tochter möge, lange bevor er dies schließlich tat, in Erfüllung gehen.
12
MITTWOCH ABEND, 17. MAI
Bergland der südlichen Sierra Nevada
Am Abend setzte ich mich an den Eingang meines Zelts und lauschte dem Gelächter. Zuerst hatten sich alle ruhig und gesetzt um das Lagerfeuer versammelt. Nachdem wir einen langen Tag am Grab und den darin liegenden Gegenständen gearbeitet und seinen schaurigen Inhalt fotografiert, in Pläne eingezeichnet, aufgesammelt und beschriftet hatten, war das Team erschöpft und in gedämpfter Stimmung.
Parrish, der jetzt wieder von Duke und Earl bewacht wurde, wurde vom Rest der Gruppe fern gehalten. Man hatte ihn in ein Zelt gebracht, nachdem Merrick erneut mit ihm aneinander geraten war, was diesmal eindeutig damit geendet hatte, dass Parrish ein oder zwei blaue Flecken abbekommen hatte.
Es hatte begonnen, als Parrish, der Handschellen trug, eine Motte neben seinem Gesicht herumflattern sah. Er beobachtete sie scharf, schnappte dann mit offenem Mund nach ihr und machte ein übertriebenes Schauspiel daraus, sie zu kauen und zu verschlucken. »Warum zum Teufel haben Sie das getan?«, fragte Merrick angeekelt.
Parrish starrte ihn an, lächelte und warf dann einen Blick auf den Leichensack. »Sie hat mich an jemanden erinnert.«
Merrick rang ihn nieder, bevor ihn Manton daran hindern konnte. Später gab sogar Merrick zu, dass es Parrish offenbar freute, ihn so weit gebracht zu haben, dass er die Beherrschung verlor.
Niemand nahm Merrick seine Gereiztheit übel. War Parrish am Tag zuvor vielleicht noch an einen Platz geführt und zum Sitzen aufgefordert worden, wurde er heute herumgeschubst und grob wieder in die Höhe gerissen, wenn seine Wachen zum
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