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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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hysterisch in den Wald laufen und einfach nur versuchen, ihm oder den zerfetzten Resten ihrer früheren Beschützer zu entkommen – er hätte sie ohnehin gefunden, aber das machte es bedeutend leichter.
    Er stellte sie sich vor, zusammengekauert in ihrem eigenen Zelt – er wusste, dass sie ihr eigenes Zelt wählen würde. Der Regen würde laut darauf prasseln. Sie wäre müde, aber außerstande zu schlafen. Frierend, hungrig, verängstigt, allein.
    Oh, sie hatte den Hund. Aber der Hund wäre ihr keine große Hilfe. Dieser Hund war verwöhnt und verhätschelt, es war ein Hund, dessen Herrchen ein dummer Mann gewesen war, der dem Hund Lieder vorsang und sich Kunststücke für ihn ausdachte. Er hatte die Zuneigung zwischen Hund und Herr gesehen, die ständigen Sympathiebeweise des Mannes – also wirklich, es war schon fast obszön! Der Mann hatte beinahe unablässig mit dem Hund gesprochen. Wo blieb denn da die Würde des Hundes? Und dass das Vieh seinem Besitzer mit der Zunge übers ganze Gesicht lecken durfte – schon allein die Vorstellung widerte ihn an. Er war froh, dass er das beendet hatte.
    Nachdem sein Herrchen tot war, würde der Hund depressiv werden. Hunde wurden depressiv, das wusste er. Sogar Julia Sayres kleiner Hund hatte um sie getrauert. Er seufzte, als er daran zurückdachte, wie sehr er es genossen hatte, den kleinen Pekinesen aus dem Fenster im ersten Stock starren zu sehen, wie er dreinsah, als wolle er in den Tod springen, wenn er nur gewusst hätte, wie man den Riegel öffnete. Er hätte ihm sogar geholfen, wenn ihn der Kummer des Tieres nicht so amüsiert hätte.
    Diesem deutschen Schäferhund – obwohl er sicher kein reinrassiger Schäferhund war – ging es bestimmt nicht besser. Nein, dieser Hund – er brachte es nicht über sich, seinen lächerlichen Namen zu benutzen! – würde einer Frau von ihrem mitfühlenden Wesen die Nacht nur noch düsterer erscheinen lassen.
    Er hatte so vieles mit ihr vor. Er schwankte, ob er über seine Pläne nachdenken oder die Erfolge des vergangenen Tages Revue passieren lassen sollte. Er wusste jedoch genau, wie er seine Vorfreude steigern konnte, und so siegte Letzteres.
    Heute war wirklich alles nach Wunsch verlaufen. Er war frei und hatte kaum einen Kratzer abbekommen. Er zog es vor, Mord langsam zu genießen, und staunte darüber, dass er so rationell morden und doch die triumphale Genugtuung empfinden konnte, die er dabei gefühlt hatte. Er hatte sie natürlich allesamt überlistet, aber es war so herrlich, der Welt einen derart handfesten Beweis für seine Fähigkeiten präsentieren zu können!
    Es war befriedigend, barg aber nichts von den Freuden, die ihm die vorangegangenen Morde verschafft hatten. Es war alles ein bisschen zu schnell gegangen. Vor allem Merrick und Manton – das war wirklich jammerschade. Manton, der näher an der Explosion gestanden hatte, war völlig davon überrumpelt worden, aber Merrick, der zwar außerstande gewesen war, zu begreifen, was sich am Grab abgespielt hatte, hatte recht schnell darauf reagiert, dass ihm die Waffe abgenommen wurde. Das war beinahe bewundernswert. Er hatte sich gezwungen gesehen, ihn auf der Stelle zu töten.
    Ach ja, das Leben brachte wohl immer seine kleinen Enttäuschungen mit sich. Dem konnte er mit dem Wissen darum entgegenwirken, dass ihre von Kugeln durchsiebten Gesichter ihre Kameraden schockieren und aufbringen würden. Und mit dem Wissen, dass Irene dort gewesen war und alles gesehen hatte, einschließlich der Demonstration seiner eindrucksvollen Treffsicherheit, als er diesen aufgeblasenen Arsch abgeknallt hatte, diesen Sheridan.
    Sheridan, der auf seine Kojoten gestarrt hatte, der sich eingebildet hatte, etwas über ihn zu wissen. Sheridan, der Julia berührt hatte!
    Ihm fiel wieder ein, dass der Mann es allen Ernstes einmal gewagt hatte, spät am Abend zu Irenes Zelt zu gehen. Er hatte ihre Stimmen gehört, aber das Gespräch nicht verstehen können. Er wusste nur, dass sie Sheridan abgewiesen hatte, da er wieder weggegangen war. Sie musste ihm gesagt haben, dass sie lieber mit dem Hund schliefe, da es der Hund gewesen war, der ihr dann in dieser Nacht Gesellschaft geleistet hatte. Genau wie heute Nacht der Hund bei ihr sein würde, irgendwo da draußen im verregneten Wald.
    An diesem Punkt beschloss er, dass er sich seinen Hochgenuss lange genug aufgespart hatte. Vorsichtig zog er ihn aus der Brusttasche. Es war nicht die spitzenbesetzte, verspielte Variante. So etwas war nicht

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