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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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bisschen nachdenken, bevor wir aufbrechen.«
    Nach der ersten Stunde, die sie sich mit den Karten befasst hatten, verlor Frank etwas von seinem Optimismus. Es gab so viele Stellen, die die Gruppe innerhalb der angegebenen Zeit hätte erreichen können, und die Wahrscheinlichkeit, die richtige zu finden, war gering. Doch als Dalton weiter die Karten studierte, fand er Gründe, die eine oder andere Stelle auszuschließen und das Feld einzugrenzen. »Ich will nicht behaupten, dass wir sie komplett von der Liste streichen müssen«, sagte er, stand auf und streckte sich, »aber dort würde ich jedenfalls nicht zuerst suchen.«
    Als er vom Tisch wegtrat, sagte Frank: »Sie geben aber jetzt nicht auf, oder?«
    Dalton öffnete den Mund, um ihm eine barsche Antwort zu geben, schloss ihn dann jedoch wieder. Er musterte Frank einen Moment lang und sagte schließlich: »Es täte Ihnen gut, auch mal ein bisschen Auszeit von der Sache zu nehmen. Ich für meinen Teil amüsiere mich jetzt mit den Hunden. Ihr könnt alle tun, was ihr wollt. Ich kümmere mich um meine Gäste.«
    Er setzte sich auf den Boden und begann mit Deke und Dunk zu ringen, die sofort begeistert mitspielten und das Ganze mit lautem und dramatischem Bellen und Knurren begleiteten.
    Jack warf Frank und Travis einen entschuldigenden Blick zu. »Stinger muss alles auf seine Art machen«, sagte er, während er versuchte, leise zu sprechen und trotzdem bei dem Tumult gehört zu werden. »Sinnlos, ihn drängen zu wollen. Aber ich komme mit euch, falls ihr gehen wollt.«
    Franks Bedürfnis, sich zu vergewissern, dass Irene in Sicherheit war, drängte ihn zum Gehen – und zwar derart massiv, dass er kaum widerstehen konnte. Die Untätigkeit machte ihn wahnsinnig. Der Drang, aufzubrechen, zu handeln, so nah an die Berge heranzukommen wie möglich, hätte ihn fast dazu verleitet, sämtliche anderen Überlegungen beiseite zu schieben. Doch als er die oberste Landkarte unter seinen Händen glättete und die Finger spreizte, um einen Bruchteil der Spannung loszuwerden, die jeden Muskel seines Körpers befallen hatte, sah er Kreise über Kreise auf der Karte und begriff, dass es nahezu unmöglich war, sie ohne die Hilfe des Hubschrauberpiloten zu finden. Es war einfach zu viel Gelände, das abgesucht werden musste. Und das Gewitter würde alles nur noch schlimmer machen.
    »Das Wetter ist es, was uns aufhält, nicht dein Freund«, sagte er. »Stinger ist nicht das Problem.«
    »Ich mag ihn«, erklärte Travis. »Ist er in Vietnam Hubschrauber geflogen?«
    »Nie von der Gegend gehört«, antwortete Dalton vom Fußboden.
    »Er mag graue Haare haben«, sagte Jack, »aber die Ohren des durchgeknallten Wilden sind nach wie vor scharf.«
    Genau wie sein Verstand, dachte Frank, der die Karte studierte, während sich Daltons Lachen mit dem Bellen und Knurren der Hunde mischte. Genau wie der Verstand des durchgeknallten Wilden.
     

20
     
    DONNERSTAG ABEND, 18. MAI
    Eine Höhle im Bergland der südlichen Sierra Nevada
     
    Sein Bau, wie er ihn nannte, war warm und trocken. Es hätte ihm nichts ausgemacht, im Regen draußen zu sein. Er hatte schon oft Entbehrungen erduldet, wenn er seine Ziele verfolgte. Mehr als einmal hatte es allein die Beobachtung eines der Objekte seiner Zuneigung erforderlich gemacht, dass er bei hässlichem Wetter eine Nacht an einem unbehaglichen Ort verbringen musste. Doch momentan war es weitaus amüsanter, es gemütlich zu haben, während ihr jede Gemütlichkeit fehlte.
    Sie war allein im Dunkeln, vom Tod umgeben. Sicher hatte sie sich das, was vom Lager übrig war, so gut wie möglich zunutze gemacht, doch blieb ihr nichts zu essen. Das würde ihr nicht ernsthaft schaden – es gab ja Wasser in Hülle und Fülle –, aber psychologisch gesehen würde sich ihr Hunger zu seinem Vorteil auswirken.
    Sie konnte nicht wissen, ob er sich endgültig aus dem Staub gemacht hatte oder ob er zurückkäme, um sie zu holen. Er nahm an, dass sie vermutlich von dieser Höhle wusste. Er hatte Fußspuren gefunden, die höchstwahrscheinlich von ihr stammten – sie war gestern in diese Richtung gegangen. Aber sie konnte nicht wissen, ob er geblieben oder geflohen war.
    In dieser Phase des Spiels würde die Hoffnung manche ihrer Ängste kompensieren. Sie würde an den versprochenen Hubschrauber denken, der zur Wiese kommen sollte. Während dies in mancher Hinsicht ärgerlich war, war er andererseits dankbar dafür, dass es sie an einen festen Ort band. Sie würde nicht

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