Grabkammer
sehen. Du hast ihr diese Chance geraubt. Gott sei Dank hat sie nie die Wahrheit erfahren. Das ist das Einzige, wovor ich sie bewahren konnte –
vor dem Wissen, dass unser Sohn ermordet wurde.« Er holte tief Luft und ließ sie langsam entweichen, und sie spürte seine ruhige Entschlossenheit. »Jetzt bleibt mir nur noch dies eine zu tun.«
Im Halbdunkel sah sie ihn den Arm heben, und sie wusste, dass seine Waffe auf sie gerichtet war. Sie wusste, was als Nächstes passieren würde, und sie wusste, dass es ihr seit Langem vorausbestimmt war, dass das Rad ihres Schicksal vor zwölf Jahren in Bewegung gesetzt worden war, in der Nacht, als Bradley starb. Dieser Schuss, der gleich fallen würde, war nur ein Echo jenes früheren Schusses, ein Echo, das mit zwölf Jahren Verspätung kam. Es war eine merkwürdige, ganz eigene Form der Gerechtigkeit, und sie begriff, warum dies geschah, denn sie war eine Mutter, und wenn jemand ihrem Kind etwas antäte, würde auch sie nach Rache dürsten.
Sie wusste, was Kimball Rose zu tun im Begriff war, und sie machte ihm keinen Vorwurf.
Und so war sie eigenartig ruhig und gefasst, als er abdrückte und die Kugel in ihre Brust einschlug.
Hier und jetzt könnte es alles enden, denke ich, während ich am Boden liege. Ein brennender Schmerz tobt in meiner Brust, und ich kann kaum atmen. Kimball muss nun nichts weiter tun, als ein paar Schritte auf mich zukommen und mir die tödliche Kugel in den Kopf jagen. Aber draußen auf dem Flur sind polternde Schritte zu hören, und ich weiß, dass er sie auch hört. Er sitzt in diesem Schlafzimmer in der Falle, mit der Frau, die er gerade niedergeschossen hat. Sie treten gegen die Tür – die Tür, die ich in meiner grenzenlosen Dummheit abgeschlossen habe, weil ich dachte, sie würde mich vor ungebetenen Besuchern schützen. Ich hatte mir nicht vorstellen können, dass es meine Retter sein würden, die ich damit aussperre, die Polizei, die mir zu meinem Haus gefolgt ist, die mich die ganze letzte Woche in Erwartung dieses Überfalls überwacht hat. Wir alle haben heute Abend Fehler gemacht, Fehler, die sich als tödlich erweisen könnten. Wir haben nicht damit gerechnet, dass Kimball sich in meiner Abwesenheit in mein Haus schleichen würde; wir haben nicht damit gerechnet, dass er in meinem Schlafzimmer schon auf mich warten würde.
Aber Kimball hat den größten Fehler von allen gemacht. Holz splittert, und die Tür fliegt krachend auf. Die Polizisten stürmen herein wie wütende Stiere, sie schreien und trampeln und strömen einen scharfen Geruch nach Schweiß und Aggression aus. Es hört sich an wie eine wild gewordene Menge, doch dann schaltet jemand das Licht ein, und ich sehe, dass es nur vier Detectives sind, die alle mit ihren Pistolen auf Kimball zielen.
»Waffe fallen lassen!«, befiehlt einer der Männer. Kimball ist offenbar zu verblüfft, um zu reagieren. Seine eingesunkenen Augen sind von Kummer gezeichnet, in seinen schlaffen Zügen malt sich Fassungslosigkeit. Er ist ein Mann, der es gewohnt ist, Befehle zu erteilen und nicht auszuführen, und er steht hilflos da mit der Pistole in der Hand, als ob sie festgewachsen wäre und er sie nicht loslassen könnte, selbst wenn er es wollte.
»Legen Sie einfach die Waffe weg, Mr. Rose«, sagt Jane Rizzoli. »Dann können wir reden.«
Ich habe sie nicht hereinkommen sehen. Ihre männlichen Kollegen, wahre Kleiderschränke im Vergleich zu ihr, haben mir die Sicht verdeckt. Aber jetzt tritt sie an ihnen vorbei ins Zimmer, eine kleine, furchtlose Frau, die sich trotz des Gipsverbands an ihrem rechten Arm mit beeindruckender Selbstsicherheit bewegt. Sie sieht in meine Richtung, doch es ist nur ein flüchtiger Blick, mit dem sie sich vergewissert, dass meine Augen offen sind und dass ich nicht blute. Dann wendet sie ihre Aufmerksamkeit wieder Kimball zu.
»Es wird weniger Probleme geben, wenn Sie einfach die Waffe weglegen.« Detective Rizzoli sagt es mit ruhiger Stimme, wie eine Mutter, die ein tobendes Kind zu beschwichtigen versucht. Die anderen Detectives sind von einer Aura von Gewalt und Testosteron umgeben, aber Rizzoli ist die Ruhe selbst, und das, obwohl sie als Einzige keine Waffe in der Hand hält.
»Es sind schon zu viele Menschen gestorben«, sagt sie.
»Damit soll jetzt endlich Schluss sein.«
Er schüttelt den Kopf, eine Geste nicht des Widerstands, sondern der Resignation. »Es ist jetzt alles gleich«, murmelt er.
»Cynthia ist tot. Wenigstens das hier bleibt
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