Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
nach Kirchhagen war Nebel über den Feldern und Wiesen aufgestiegen, und als sie kurz vor acht Uhr abends in den Ort hineinfuhren, war er bereits so dicht, dass sie kaum noch etwas sehen konnten. Pia hatte Mühe, die Dettendorfsche Hofeinfahrt zu finden. Das Wohnhaus sah stockfinster aus. Als sie auf den Hofplatz fuhren, sprang eine kleine Laterne an und tauchte das gepflasterte Areal in ein milchiges Licht.
»Wir haben wohl Pech, er scheint wirklich nicht zu Hause zu sein.« Pia schaffte es, jegliche Enttäuschung aus ihrer Stimme herauszuhalten. Einen Moment lang saßen sie unschlüssig im dunklen Wagen. Im Motorraum tickerte und knackte es leise. »Komm, ein Versuch schadet nicht«, sagte sie dann.
»Es ist keiner da, das sieht man doch.«
Pia stieg trotzdem aus. Sollte Gerlach doch dort drinnenschmollen und Wurzeln schlagen. Als sie auf die Haustür zuging, sah sie, dass das kleine Fenster neben der Eingangstür gekippt war. Sie wertete das als gutes Zeichen dafür, dass Dettendorf nicht allzu weit weg sein konnte. Vielleicht war er in der Dorfkneipe auf ein Bier oder bei seinen Nachbarn?
Sie klingelte, und der Hund schlug an. Er klang nicht drohend, eher verhalten, und Pia hörte Kratzgeräusche und ein Schnüffeln am unteren Spalt der Haustür. Sie wartete einen Moment, dann klingelte sie noch einmal. Wieder bellte der Hund kurz auf, dann winselte er leise. Pia zog ihr Telefon hervor und wählte erneut Dettendorfs Nummer. Kurz darauf hörte sie das leise Klingeln eines Telefons irgendwo im Haus.
Hinter ihr wurde eine Autotür zugeschlagen, und Gerlach trat durch den Nebel zu ihr an die Tür. »Keiner da, sag’ ich doch.«
»Sieh doch bitte mal nach, ob du Dettendorfs Auto irgendwo finden kannst«, forderte Pia ihn auf.
»Okay«, sagte Gerlach gedehnt und war Sekunden später wieder von Nebel und Dunkelheit verschluckt.
Pia versuchte, ihr stärker werdendes Unbehagen abzuschütteln. Sie musste an den Überfall auf Dettendorf vor ein paar Tagen denken, an den hässlichen Draht im Wald …
Der Hund bellte wieder auf und kratzte weiter an der Tür. Pia hämmerte gegen das Holz, lauschte, klingelte noch einmal. Wahrscheinlich war es kompletter Blödsinn, aber sie musste irgendetwas tun. Nach kurzem Nachdenken rief sie bei den Burmeisters an und erkundigte sich nach Dettendorfs Verbleib. Simon Burmeister teilte ihr mit, dass Jan Dettendorf heute nach Wilhelmshaven gefahren sei, um ein Fohlen zu verkaufen.
»Wie viele Pferdehänger hat er?«, fragte Pia. Einen Hänger hatte sie auf dem Hofplatz gesehen.
»Tut mir leid, das weiß ich nicht«, kam es von Simon Burmeisterzurück. Er klang so emotionslos wie ein Sprachcomputer.
»Wissen Sie, wann er zurück sein wollte?«
»Nein. Auch das weiß ich nicht.«
Herrgott noch mal!
»Frag ihn, ob Dettendorf einen dunkelblauen Mercedes fährt«, raunte ihr Gerlach zu. Er hatte seinen Rundgang beendet und stand wieder hinter ihr. Der Nebel schien nicht nur die Sicht zu nehmen, sondern auch jegliche Geräusche zu verschlucken.
»Fährt Herr Dettendorf einen dunkelblauen Mercedes?«
»Einen blauen Mercedes, ja, den fährt er.«
Pia beendete das Gespräch beunruhigter, als sie es begonnen hatte. Jan Dettendorfs Auto war da, ebenso sein Hund. Pia klopfte so hartnäckig an die Tür, dass das Tier drinnen aufheulte und immer hektischer am Holz kratzte. Warum öffnete Dettendorf nicht? »Wir müssen rein!«
Gerlach beobachtete sie mit gekrauster Stirn.
»Findest du nicht, dass du übertreibst? Er ist nicht da. Pech gehabt! Du hattest recht, wir hätten uns vorher anmelden sollen, aber was soll’s. Lass uns zurückfahren und morgen wiederkommen. Jemand, dem so was hier gehört«, er machte eine ausladende Armbewegung, »der haut nicht einfach ab.«
»Der Hund spielt verrückt. Da stimmt was nicht! Entweder wir machen die Tür selbst auf, oder wir lassen einen Streifenwagen kommen.«
»Ohne Beschluss?«
Pia seufzte. »Ich gehe mal ums Haus rum. Vielleicht kann ich irgendwas sehen.« Mit etwas Glück stand ein Fenster offen, oder es gab einen unverschlossenen Seiteneingang.
»Ich frag’ die Nachbarn, ob sie einen Schlüssel haben. Vielleicht helfen die uns, nachzusehen, ob bei Dettendorf allesin Ordnung ist«, schlug Gerlach vor und wandte sich zum Gehen.
Pia sah ihm erleichtert nach. Dann tastete sie den Rahmen über der Haustür nach einem Schlüssel ab. Als sie damit keinen Erfolg hatte, holte sie ihre Taschenlampe, zog gewissenhaft Schutzweste und Handschuhe
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