Grabmoosalm (German Edition)
Jahre alt.«
Dann stellte Rico Stahl die üblichen Fragen.
Hatte Frau Hastemir Feinde?
Haben Sie einen Verdacht …
Nein.
Schildern Sie …
Zuverlässige Frau, bei Kollegen beliebt, immer pünktlich, sie hat
ihre Arbeit stets gut verrichtet.
Wann wurde ihr Fernbleiben zum ersten Mal bemerkt?
Gestern. Wir hielten es für ungewöhnlich, dass sie unentschuldigt
fehlte.
Mit wem hatte sie Umgang?
Weiß ich nicht.
Eine Sache beschäftigte Rico. Wenn die Tote bei Colatol gearbeitet
hatte, was war dann der Grund, dass ihre Leiche auf dem fünfzehn Kilometer
entfernten Parkplatz der Papierfabrik abgelegt worden war? Umgebracht hatte man
sie an einem anderen Ort, das stand fest. Bestand ein Zusammenhang zwischen
diesem Mord und der Toten auf der Grabmoosalm? Oder war die Nähe zur Alm nur
purer Zufall?
Unauffällig sah er sich Mühlhofer genauer an. Ein bieder wirkender
Mittvierziger, sportlich-hager, Brille, Jackett mit offenem Hemd, Kaufhausuhr
am rechten Handgelenk.
Rico konnte die Spannung, unter der der Mann stand, förmlich
riechen. Gab es einen Grund dafür?
Menschen sind selten das, wofür man sie hält. Mühlhofer konnte
wieder einmal ein Beispiel für diese kriminalistische Erkenntnis sein.
Eine weitere E-Mail verließ Ricos Laptop. »Franz Mühlhofer, Alpenweg 7,
Produktionsleiter bei Colatol. Ich will alles wissen. Vor allem: Hatte er
privaten Umgang mit der Toten?«
»Können Sie sich einen Grund vorstellen, warum Ihre Mitarbeiterin
ausgerechnet auf dem Parkplatz der Papierfabrik getötet wurde?«
Zum ersten Mal zeichnete sich auf Mühlhofers sonst unbewegtem
Gesicht der Anflug einer Grimasse ab.
»Auf dem Parkplatz der Papierfabrik? Das wurde in den Nachrichten
nicht gesagt.« Er legte eine Fingerspitze an die Nase. »Nein, ich habe keine
Ahnung.«
Rico lächelte in sich hinein. Er hatte die übliche Fangfrage aus
»Tatort«-Sendungen gestellt. Mühlhofer hätte das mit dem Fabrikparkplatz
unmöglich wissen können, denn das war bisher nur intern bekannt. Mit seiner
Antwort war er damit aus dem Schneider. Er hatte mit keiner Faser gezuckt.
Warum hätte er sich auch bei der Polizei melden sollen, wenn er ein schlechtes
Gewissen haben musste?
Einen Zahn musste er dem Zeugen allerdings noch ziehen.
»Kennen Sie Frau Hastemir ausschließlich dienstlich?«, fragte er
ihn.
Nun kam Bewegung in die Maske gegenüber. Nein, ja, nein, ja, konnte
Rico aus dem Gesicht lesen. Er kannte sie also auch privat, rang aber mit sich,
ob er es zugeben sollte.
Mühlhofer hob das Foto noch einmal vom Tisch auf und betrachtete es
eine halbe Minute. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Zehn Sekunden später
wurde er von einem Weinkrampf geschüttelt.
»Ja, ich kenne sie auch privat«, stammelte er. »Wir haben uns ab und
zu auf einen Kaffee getroffen.«
Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her, als säße er auf einer
Herdplatte. Seine Finger verschlangen sich ineinander.
»Aber es war nichts zwischen uns, glauben Sie mir. Wir haben uns
verabredet und etwas getrunken. Keinen Alkohol, das wollte sie nicht. Gülsüms
Vater und meine Frau wussten auch Bescheid. Es war nichts Heimliches dabei.«
Rico waren solche Reaktionen nicht unbekannt. Es war, als ob man in
ein Wespennest gestochen hätte. Gute Voraussetzungen für die weitere Wahrheitsfindung.
Die beiden hatten ein Verhältnis, und Mühlhofer wollte es
vertuschen, damit seine Ehefrau nichts mitbekam. Doch in welcher Beziehung
stand er zu dem Mord an seiner Geliebten?, fragte er sich. Nur für den Fall,
dass sie seine Geliebte gewesen war.
»So, jetzt wissen Sie Bescheid«, schloss Rico, nachdem er
Chili Toledo die Anhörung Franz Mühlhofers geschildert hatte. Die unterste
Schublade seines Dienstschreibtischs war herausgezogen, Ricos Füße mit den
polierten Schuhen lagen gekreuzt auf der Kante. Chili saß ihm gegenüber. Sie
hatte sich einen Stuhl an den Schreibtisch gezogen.
»Ich bin sehr neugierig, ob da ein Zusammenhang zu Ihrem
Grabmoosalm-Fall besteht«, meinte Rico lauernd. »Wie weit sind Sie damit?«
Chili, im Sprechen eine Zusammenfassung erfindend, lehnte sich
ruckartig vor. Bei der Bewegung löste sich aus ihrem Haar eine Spange und fiel
klappernd zu Boden.
Rico Stahl sprang auf, hetzte um den Tisch herum, doch bis er da
war, um den Gegenstand aufzuheben, hatte sie ihn schon selbst gegriffen.
»Danke«, sagte sie.
Rico ging gebückt an seinen Platz zurück.
»Also?«, fragte er fordernd.
»Na ja«, sagte Chili vielversprechend. »Ich
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