Grabmoosalm (German Edition)
bin der Ansicht, da
gibt’s nichts weiter zu ermitteln. Wir haben zwar die Patronenhülsen in der
Schürzentasche der Moserin gefunden. Eindeutig jene, die zum Tod ihrer Tochter
geführt haben. Auch ihre Abdrücke sind dran, aber was beweist das schon? Die
Einzigen, die bei dem Unfall anwesend waren und aussagen können, sind die Resi,
die Tochter der Getöteten, und deren minderjähriger Sohn, der Seppe. Beide
bestätigen, dass der Tod durch Erschießen zustande kam.« Chili unterbrach und
grinste. »Bei dem Seppe hatten wir bei der Anhörung mit Schwierigkeiten zu
kämpfen. Seit dem Tod seiner Großmutter hat’s ihm die Sprache verschlagen. Er
pfeift nur mehr.«
Weiter!, befahl Ricos Miene.
»Und Täter war der Hund«, sagte Chili. »Unabsichtlich.«
»Was sagt der Staatsanwalt?«
Chili druckste unerklärlicherweise ein bisserl herum. »Äh … der …
Staatsanwalt … will einstellen.«
Rico sah sie durchdringend an und tippte mit einem Schreiber ein
paarmal auf die Tischplatte.
»Warum sagen Sie das nicht gleich? Warum will er einstellen?«
Chili fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die tizianrote Mähne.
Ihre Ohrringe klimperten, als sie den Kopf bewegte.
»Keine Beweise. Was soll er machen?«
***
Die alte Moserin kam in diesen Tagen nicht mehr zu Besuch
auf die Grabmoosalm. Früher hatte die Annemirl sie meistens abgeholt. Nach
ihrem Tod wäre jetzt ihre Tochter dran gewesen. Doch die Resi empfand dazu im
Moment nicht die geringste Lust.
Bei allem, was sie tat, war sie mit Leib und Seele dabei. Deshalb
konnte sie seit Tagen nicht mehr ruhig schlafen. Der Pfeiferl beschäftigte sie,
seine Sprachlosigkeit und neuerdings seine Rumtreiberei, und nicht weniger die
Hündin, die Sissi, die ihm auf seinen Streifzügen beistand.
Noch viel mehr aber plagten sie Gewissensbisse. Sie hatte mit
ansehen müssen, wie ihre eigene Mutter von deren Mutter brutal erschossen
wurde. Natürlich war es bestimmt nicht mit Absicht geschehen – daran
musste man einfach glauben –, doch die Bilder erschienen in jeder Nacht,
wenn sie schweißgebadet aus bösen Träumen aufwachte und sich in quälenden
Fragen und langen Gebeten verlor.
Der Polizei und der Kommissarin, die bei ihr gewesen war und sie
befragt hatte, hatte sie eine ganz andere Geschichte erzählt. Das bereute sie
nicht, denn weiß der Herrgott, was sonst der Moserin alles passiert wäre. Sie
war noch immer fest entschlossen, sich aus den Ermittlungen der Polizei
herauszuhalten.
Doch im gleichen Atemzug fragte sie sich immer und immer wieder, ob es
recht war, was sie tat. Sollte sie nicht hingehen und einen sauberen Schnitt
machen? Denen sagen, was sich in Wirklichkeit abgespielt hatte an jenem Tag,
als ihre Mutter von der Wolfsjagd heimgekommen war? Dass die Moserin von einem Sturm
des Vergessens hinweggefegt worden war, stand außer Zweifel. Aber hatte sie
auch vergessen, was sie getan hatte? Sie war schließlich aufgebraucht durch ein
raues Leben und darüber hinaus nachweisbar krank. Alzheimer – die Resi
hatte noch immer keine rechte Vorstellung davon, was das eigentlich bedeutete.
Wo es herkam, wie es sich auswirkte und wie es weitergehen sollte mit der
Moserin. Aber auch der behandelnde Arzt hatte schließlich zugegeben, dass die
Wissenschaft noch vor einem ziemlichen Rätsel stünde.
Diese Ungewissheit zerschliss Resis Nervenkostüm. Sie war gespalten
zwischen Ungeduld und Erbarmen und spürte eine fast untragbare Last aus
Schmerz, Mitleid, Stolz und Unrecht. Noch war sie nicht bereit, der Polizei die
Wahrheit einzuschenken. Aber wenigstens wollte sie ihre Großmutter auf Ehr und
Gewissen fragen, wie weit der Lack in Bezug auf ihre Tat abgeblättert war. Oder
nicht.
Das wollte sie herauskriegen, die Resi. Und zwar so bald wie
möglich.
Am besten gleich.
Presto.
Sie fuhr den gleichen Weg wie vor ihr Joe Ottakring. Nur
schneller als der, weil sie dem gewundenen Bergsträßchen auch mit geschlossenen
Augen hätte folgen können. Sie wusste vor jeder Kurve, was dahinter kam, ob sie
in einer Kehre weit ausholen oder eine Biegung enger nehmen musste.
Der Pfeiferl saß angeschnallt auf dem Sitz hinter ihr, die Sissi
schlief auf ihrer Lieblingsdecke, einer dicken hellen mit Pfotenmuster, hinten
auf der Ladefläche. Ab und zu pfiff der Pfeiferl, wobei seine Mutter nicht
unterscheiden konnte, ob der Ton für Anerkennung sprach oder für sein
Bedürfnis, sich mitzuteilen.
Vor dem Grandis fand sie wieder einmal keinen Parkplatz. Das
Wohnstift
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