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Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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Einer hatte an der Spitze des Mittelfingers ein Loch.
    Sie gab sich große Mühe, das Fahrrad zu besteigen und loszufahren.
Doch es war seltsam. Sie schaffte es nicht. Sie blieb mit dem Vorderreifen bei
jedem Versuch im Schnee stecken. Komisch, dachte sie, es hatte doch früher nie
geschneit bei der Kartoffelernte. Wollte man sie hereinlegen?
    Na gut, dann blieb ihr nichts anderes übrig, als das Fahrrad zu
schieben.
    Das tat sie. Sie schob es neben sich her. Die Wiese auf dem Weg zum
Acker war tief verschneit. Das ist gut, dachte sie. Der Schnee schluckt jedes
Geräusch. Sie werden nicht merken, dass ich weg bin.
    Sie schob das Fahrrad bis zu der Stelle, wo die erste Ruhebank
stehen musste, die der Fremdenverkehrsverein kurz vor Rehwiesen aufgestellt
hatte. Nur – die Bank war weg! Wer hatte die Bank abmontiert? Nur eine
Riesenschneewand war da, wo sonst die Bank gestanden hatte. Sie lehnte das
Fahrrad kurz gegen die Schneewand. Im selben Augenblick sackte das Radl in den
flockigen Pulverschnee ein, und ein Stück der Bank kam zum Vorschein.
    Sie schüttelte den Kopf und versuchte, den Trick zu durchschauen.
Mit bloßen Händen schob sie den Schnee zur Seite. Darunter kam mehr und mehr
die Bank zum Vorschein, die früher da gestanden hatte.
    Man wollte sie ausschmieren. Eindeutig.
    Sie hatten die Bank unter Schnee versteckt.
    Das brachte sie zum Lachen.
    »Hehehe. Mich ausschmieren wollen!«
    Nun, da die Bank schon einmal da war, konnte sie sich auch hinsetzen
und ein bisschen ausruhen. Kräfte für später sammeln. Kartoffelklauben ist
anstrengend.
    Die Resi fand die Großmutter kurz nach sechs neben ihrem Fahrrad.
Die Moserin hatte sich auf die Bank gelegt, die der Fremdenverkehrsverein im
vergangenen Jahr kurz vor Rehwiesen hingestellt hatte. Es hatte leicht
geschneit, und eine dünne Decke aus Schnee hatte sich über die Großmutter
gelegt.
    Das war ihr Glück, meinte der Doktor.
    Zwar war die Spitze des linken Mittelfingers erfroren, und sie hatte
sich eine Blasenentzündung geholt. Aber abgesehen davon war sie erstaunlich
unversehrt.
    »Wieso bist du mitten in der Nacht mit dem Fahrrad aussi?«,
schimpfte die Annemirl. »So was Saublödes. Was hast denn gwollt da draußen im
Schnee!«
    Das wusste die Moserin selbst nicht mehr. Sie wunderte sich auch.
    Doch eines war klar. Die Annemirl, des is a ganz Böse. Sie so zu
beschimpfen!
    Nicht mehr lang, dann würde sie ihr das böse Maul stopfen!
    Die Moserin erhob sich von dem Baumstamm, von dem aus sie eine
halbe Stunde lang die Ameisen beobachtet hatte. Sie lupfte den Rucksack und
schwang ihn auf den Rücken. Hunger hatte sie nicht, der Rucksack blieb
unangetastet.
    Es trieb sie stetig den Berg hinauf.
    Sie atmete schwer.
    Ihre Lungen schmerzten.
    ***
    Der Seppe schlief in der einen Ecke der Höhle. Die Bella
schlief dicht neben ihm. Der Wolf schlief in der anderen Ecke.
    Die Höhle hatte etwa die Dimension von Seppes Zimmer auf der Alm.
Sie war also nicht sehr groß.
    Von außen war sie schlecht zu erkennen, denn um in die Höhle zu
kommen, musste man sich auf den Bauch legen und kriechen. Außerdem war der
Eingang von dichtem Gestrüpp verdeckt. Selbst der Wolf musste in die Knie
gehen, wenn er den Eingang passierte.
    Drinnen war die Höhle hoch. Wie hoch, konnte man im Halbdunkel des
spärlichen Tageslichts nicht erkennen. Nicht einmal der Schein der
Taschenlampe, die der Seppe von daheim besorgt hatte, reichte aus, um die Höhle
in ihrer gesamten Höhe auszuleuchten. Die Wände waren aus purem Fels. Nur
teilweise hatte der Stein etwas Moos angesetzt. Von oben, einen Meter rechts
vom Mittelpunkt, tropfte es. Alle zwei, drei Minuten ein kräftiger Tropfen
Felswasser.
    Es roch nicht frisch, aber auch nicht unangenehm. Der Raubtiergeruch
des Wolfs wurde von leichtem Moder übertönt. Innerhalb eines Tages hatte sich
der Seppe an den Höhlengeruch gewöhnt.
    Zu der Zeit, als die Moserin stetig den Berg hinaufstieg, lag die Sissi
auf der Schwelle des Höhleneingangs, den Kopf draußen flach auf die
Vorderpfoten gebettet, die Augen geschlossen. Es schien, als ob auch sie
schliefe. Doch das täuschte. All ihre Sinne waren wach. Alle.
    Zuerst bewegte sie die Nüstern hin und her und sog den fremden
Geruch ein, der zwischen den Baumstämmen nahe am Boden den Berg heraufzog. Sie
schnüffelte weiter und fand, dass ihr der Geruch gar nicht so fremd war. Die
Ohren folgten. Sie spielten vor und zurück, als würde der Wind sie bewegen.
Schließlich richtete sich Sissi

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