Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
offensichtlich eine destruktive und verzweifelte Rache feudalistischer Kräfte, die in einigen Regionen die Führung an sich gerissen haben. Das ist der schärfste Ausdruck des Klassenkampfs in den ländlichen Gebieten. Man muss wissen, dass unter der chinesischen Landbevölkerung reiche Grundbesitzer und ihre Angehörigen noch acht Prozent ausmachen. Zusammen mit der Bourgeoisie der Städte, den bürgerlichen Intellektuellen und dem gehobenen Kleinbürgertum und seinen Familienangehörigen beläuft sich ihre Gesamtzahl auf etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Die überwiegende Mehrheit von ihnen hat in verschiedenen Graden eine sozialistische Umerziehung durchlaufen […], weshalb wir sie unbedingt umerziehen müssen. Aber unter ihnen gibt es spontane, mehr oder weniger feudalistische und bürgerliche Kräfte, deren verderblichem Einfluss wir Tag für Tag ausgesetzt sind. Unter ihnen sind die entschlossensten und heimlichsten Konterrevolutionäre, die noch nie umerzogen wurden, die keine Umerziehung akzeptieren, die den Sozialismus hassen bis aufs Blut und die sich bewusst darauf vorbereiten, ›für die Rückkehr der Seele einen Leichnam auszuleihen‹, die Führung an sich zu reißen und sich in ihrem Wahnsinn zu rächen. Genosse Mao Zedong hat gesagt, wir müssen nicht nur die sozialistische Revolution fortführen, sondern auch die unvollendeten Aufgaben der demokratischen Revolution zu einem guten Ende bringen.
[…] Sobald unsere Führung die geringste Unachtsamkeit oder Lähmung zeigt und es in der Politik zu Fehlern kommt, nutzen Konterrevolutionäre die Gelegenheit, uns mit Leuten zu infiltrieren, die die Revolution ins Wanken bringen und unseren Willen schwächen, was einen Teil der Führung in den Gebieten und in den Einheiten verdorben hat. […] Daran lässt sich erkennen, dass die Veränderung der Gesellschaft die Aufgabe eines langwierigen und bitteren Klassenkampfes ist. […] Sun Yat-sen sagt: ›Die Revolution hat noch nicht gesiegt, die Genossen müssen weiterarbeiten!‹ Das müssen wir uns zu Herzen nehmen!« [762]
Weder Zentralkomitee noch Mao haben den Grund für die Fehler beim System, bei ihrer Politik und bei ihren Leitgedanken gesucht, sondern den längst entmachteten »Großgrundbesitzern, reichen Bauern, Konterrevolutionären, schlechten Elementen und Rechtsabweichlern« und der nach Taiwan geflohenen Guomindang die Schuld für das Massensterben gegeben, was offensichtlich mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Deshalb wurde in einigen Gebieten, in denen es besonders viele Hungertote gab, »Nachhilfeunterricht in demokratischer Revolution« erteilt. Ganz wie zu Zeiten der Bodenreform und der Bekämpfung der Grundbesitzer und lokalen Tyrannen wurden nun die Basiskader bekämpft. Zehntausende von ihnen wurden dabei ruiniert.
Unter den Basiskadern in den ländlichen Gebieten gab es sicher ein paar Wölfe im Schafspelz, die ihre Macht ausnutzten, um die einfachen Leute zu betrügen und zu unterdrücken. Aber die Mehrzahl von ihnen hat das Volk nur dadurch geschädigt, dass sie die Politik des Zentralkomitees umgesetzt hat. Auch wenn der Grund dafür in der indiskutablen Qualifikation der Kader gelegen haben mag, liegt doch die Verantwortung dafür beim Zentralkomitee.
An einigen schweren Fehlern wird bis
zum Ende festgehalten
Auch wenn das Zentralkomitee mit Mao Zedong an der Spitze nach vielem Hin und Her die extrem linke Politik neu ausgerichtet hat, so wurden doch in Bezug auf einige schwere Fehler keinerlei ernsthafte Maßnahmen ergriffen. Bei der Getreidefrage sah man den Bauern beim Sterben zu ohne zu helfen, es blieb bei den hohen Ankaufquoten, es blieb beim Getreideexport; der Große Sprung nach vorn wurde fortgesetzt, und man wartete zu lange mit einer Neuausrichtung der Vorgaben für die Wirtschaft.
Das Sekretariat des Staatsrats hat am 6. April 1959 einen Bericht über den Nahrungsmittelmangel in den Provinzen Shandong, Jiangsu, Henan, Hebei und Anhui eingereicht, am 9. April folgten die entsprechenden Statistiken, die zeigten, dass 25,17 Millionen Menschen in 15 Provinzen nichts zu essen hatten. Mao Zedong machte folgenden Vermerk: Die ersten Sekretäre der 15 Provinzen sollen das rasch in Ordnung bringen. Mao war der Auffassung, es handele sich hierbei »um eine vorübergehende (zweimonatige) heftige Krise«; in der Getreidefrage gab er nicht nach.
Von unten kamen weiter Berichte, die Mao Zedong Sand in die Augen streuten. Im April 1959 griff die Hungersnot in
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