Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
Nach dem »ersten Reif« fielen die Temperaturen sehr schnell, es war zu spät für die Süßkartoffelernte, eine große Menge davon verfaulte.
Der Frühling ist eine geschäftige Zeit, überall wird gepflügt. Eigentlich müsste man alle Kräfte bündeln, um Schösslinge zu ziehen, aber ein Großteil der Arbeitskräfte war abgezogen zur »gartenbauartigen Feldbestellung« – Resultat: als Ende April der »Saatregen« und mit dem Mai der Sommer kam, war die Zeit für die Aussaat von Nassreis vorbei.
Beim Anbau von Getreide achtete man nicht auf die jeweilige Eignung der Böden. Über 170 Mu tiefe, kältedurchtränkte Felder waren eigentlich nur für Reis der Mittelsaison geeignet, aber die oberen Etagen erzwangen den Anbau von Frühreis. Auf über 100 Mu Boden, der sich für den Anbau von Süßkartoffeln eignete, zwang man die Bauern, Mais anzubauen. Diese beiden Maßnahmen führten auf der Stelle zu einer Minderernte von über 40000 Pfund Getreide und Kartoffeln. [155]
1958 wurden in dem Verwaltungsbezirk Chunhua der Volkskommune Chengxi im Kreis Dianjiang Arbeitskräfte für einen »Großkampftag im Tiefpflügen« zusammengezogen. Jeweils 180 Leute gruben ein Stück Boden von über einem Mu um, sie gruben einen Tag und eine Nacht, sie verbrauchten über 60 Pfund Weizensaat – Resultat: Die Ernte brachte nicht so viel, wie Saat verbraucht worden war.
Vier Brigaden hatten zusammen 129 Mu Felder und 172 Mu Land, 1959 wurden nur etwas mehr als 40 Mu mit Weizen bepflanzt und die Produktion lag 63,14 Prozent unter der des Vorjahres. [156]
Einige Volkskommunen haben kommuneweit Arbeitskräfte umgelagert, die Leute aus einem Produktionsteam kamen in ein ganz anderes, in dem Schösslinge gezogen wurden, oder wieder in ein anderes, in dem Unkraut gejätet wurde. Große Arbeitskraftkontingente hatten »im Osten einen Standort und im Westen einen Standort«, die Effektivität war sehr niedrig, die Qualität ließ zu wünschen übrig, weite Bodenflächen ließ man veröden. [157]
Li Jingquan steuert »hart gegen den Wind«
Von Ende 1958 bis zum Frühjahr 1959 ergriff das Zentralkomitee aufgrund des Chaos, das der Große Sprung nach vorn und die Volkskommunen angerichtet hatten, eine Reihe von korrigierenden Maßnahmen. Der erste Sekretär des Provinzkomitees Li Jingquan hingegen steuerte »hart gegen den Wind« und widersetzte sich den Korrekturmaßnahmen des Zentralkomitees der KPCh. Seine Position leitete sich von dem Vertrauen her, das er bei Mao Zedong genoss. Als das Gruppenfoto sämtlicher Teilnehmer der Chengdu-Konferenz gemacht wurde, ließ Mao Zedong Li Jingquan an seiner Seite Platz nehmen. Einen guten Monat später wurden Li Jingquan, Ke Qingshi und Tan Zhenlin ins Politbüro des ZK gewählt.
Mao Zedongs Vertrauen in Li Jingquan kam daher, dass er sich von ihm »ganz grundsätzlich« verstanden fühlte. Als im Sommer und Herbst 1959 Probleme mit dem Großen Sprung nach vorn auftraten, hat Mao Zedong unter dem Druck der Ereignisse einige Maßnahmen zur »Abkühlung« getroffen und ein wenig linke Tendenzen korrigiert. Aber Li Jingquan machte diese »Abkühlung« und Korrektur der Linken nicht mit. Er zog mit seiner Haltung allerdings keineswegs die Kritik Maos auf sich und nach der Wende auf der Lushan-Konferenz am 23. Juli wurde er zu dem Mann, der am ehesten an den Ideen Mao Zedongs festhalten konnte.
Die 6. Plenartagung des 8. Parteitags in Wuchang sollte die Überhitzung des »Großen Sprungs« abkühlen, doch als Li Jingquan von der Tagung zurückkam, hat er weiter am Großen Sprung festgehalten. Im Dezember 1958 ordnete er auf einer Tagung des Gebietskomitees am Goldochsen-Damm für das Jahr 1958 noch höhere Ziele für den Großen Sprung an.
Li Jingquan war der Auffassung, das Gebiet vertrete jeden einzelnen Bauern, nur die höheren Verwaltungseinheiten könnten die proletarische Klasse vertreten. Gegenüber einer Machtbeschränkung der Volkskommunen hatte er die größten Bedenken; er fragte: »Kann die Produktion vollständig in den Händen der Bauern liegen? Was soll denn da das Proletariat noch tun?«
In den auf der zweiten Konferenz von Zhengzhou beschlossenen »Bestimmungen über das Verwaltungssystem der Volkskommunen« wird klar festgelegt, dass die »Teams die Basis« für die Kalkulationseinheit der Volkskommunen darstellen. Li Jingquang hingegen verkündete auf der großen Zehntausender-Konferenz: »Die Teams bilden die Basis, aber bei uns hier (ist) der
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