Graciana - Das Rätsel der Perle
sich verirrt hat. Wenn er ihr nun jede Gelegenheit nähme, ihren tödlichen Auftrag auszuführen? Wenn er sie bei sich behielt, nach Lunaudaie brachte und dafür sorgte, dass sie das Lehen nicht verlassen konnte? Damit konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Er schützte seinen Lehensherrn und brachte sich selbst nicht um den Genuss, den sie ihm bereiten konnte.
Je mehr er darüber nachdachte, desto besser gefiel ihm diese Lösung. Wenn das Mädchen erst ein wenig Vertrauen zu ihm gefasst hatte, konnte er sicher mehr erfahren. Vielleicht lieferte sie ihm sogar Beweise gegen den Söldnerführer. Jene Möglichkeit, auf die Jean de Montfort so sehr hoffte, um Cocherel loszuwerden oder – noch günstiger – ihn zu vernichten! Ein Grund mehr, sich ihrer zu versichern und dafür zu sorgen, dass sie sich nicht aus seiner Gewalt entfernen konnte.
Graciana schlug wie immer zur Stunde der ersten Morgenandacht die Augen auf, und im ersten Moment schien sie gar nicht zu wissen, wer Kérven überhaupt war, was er neben ihr im Bett machte. Doch dann kamen die Erinnerungen, und sie senkte die Lider, während Verlegenheit ihr die Wangen rötete.
»Ich hoffe, du hast gut geschlafen, meine Schöne!«, murmelte er mit belegter Stimme und bekam ein kaum hörbares »Ja!« zur Antwort.
»Keine weiteren Albträume mehr?«
Graciana schüttelte den Kopf und rückte vorsichtig von Kérven ab. Die Kordel ihres Hemdes hatte sich in der Nacht gelöst, und nun rutschte der Stoff halb über eine makellose Schulter. Kérven beugte sich rasch vor und küsste die warme, seidige Haut.
Sie zuckte vor ihm zurück, als habe er sie geschlagen. »Nicht! Das dürft Ihr nicht tun!«
»Wer sollte mich davon abhalten, petite? Hör auf, dich gegen mich zu wehren. Du bist mein! Und du kannst nichts daran ändern.«
Es machte ihn ärgerlich, dass sie so entschieden den Kopf schüttelte, und so stützte er sich links und rechts von ihr ab, hielt sie zwischen seinen Armen gefangen.
»Soll ich es dir beweisen?«, fragte er und wunderte sich kaum noch über die erneute, stumme Verneinung.
Graciana hatte wenig Spielraum. Sie konnte nur in seine Augen sehen oder die ihren schließen – und beides kam ihr gleich gefährlich vor. Also wagte sie keine Bewegung und starrte an ihm vorbei gegen den geschnitzten Himmel des Alkovens. Doch die hölzernen Blütenranken verschwanden, als sich sein Antlitz noch dichter über das ihre senkte und unaufhaltsam näher kam. Gefährlich näher.
Sie fürchtete und erwartete zugleich die Berührung des herrischen Mundes auf ihren Lippen. Ein Kuss, der sich nicht mehr die Mühe machte zu überreden, sondern hungrig und leidenschaftlich eine Antwort forderte. Der nicht zuließ, dass sie sich verweigerte.
Doch als sie seine Lippen spürte, wurde ihr eigener Körper zum Verräter. Das Blut schien ihr schneller durch die Adern zu fließen, ihre Arme legten sich wie von selbst um seine Schultern. Die merkwürdige Sehnsucht, die sie erfüllte, besiegte auch den letzten Protest ihres Verstandes.
Schweratmend rang sie nach Luft, als Kérven endlich ihre Lippen freigab. Ihr Herz raste, ihre Haut prickelte. Sie war nicht geschickt genug, um ihre Gefühle zu verbergen, und er las in ihren Augen, was sie empfand. Der Ausdruck darin weckte in ihm den närrischen Wunsch, sie vor allem Bösen zu bewahren und nie mehr aus seinen Armen zu lassen. Gleich darauf aber ärgerte er sich über diese »Schwäche«, und seine nächsten Worte klangen barscher als beabsichtigt.
»Du gehörst mir«, verkündete er eine Spur zu gebieterisch und umfasste mit der Rechten eine ihrer Brüste; er unterdrückte ein verlangendes Stöhnen. »Je eher du aufhörst, dich gegen diese Tatsache zu wehren, um so besser wirst du es bei mir haben. Du gefällst mir!«
Mit nachlässiger Zärtlichkeit streichelte er die harte Brustspitze und entlockte Graciana einen Seufzer der Lust. Sie biss sich heftig in die Unterlippe, um sich selbst zum Schweigen zu bringen. Es gefiel ihm, dass sie so unmittelbar und so leidenschaftlich auf jede seiner Berührungen reagierte.
»Der Himmel weiß, dass ich dich am liebsten auf der Stelle nehmen würde«, sagte er. »Aber dann komme ich vermutlich heute gar nicht mehr aus dem Alkoven mit dir. Heben wir uns derlei Spiele also für Lunaudaie auf und verlassen wir Josselin. Steh auf, Mädchen, ehe ich es mir anders überlege!«
Graciana wurde aus dem Bett geschubst und hatte Mühe, das Gleichgewicht zu wahren. Sie flüchtete
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