Graciana - Das Rätsel der Perle
Höhlungen und trieb das verrottete Stroh über die quadratischen, steinernen Platten, die den Boden des riesigen Saales bedeckten.
Die mächtigen, geschnitzten Eichenbalken der Decke zeigten an ihren Enden kunstvoll geschnitzte Embleme, waren mit Rauten und Blütenmustern verziert. Der Rauch hatte sie zwar geschwärzt, aber sie wiesen keine Spuren direkter Zerstörung auf; die Decke war zu hoch für frevelnde Hände. Von den Bannern jedoch, die die Wände geschmückt haben mussten, kündeten nur noch die leeren Halter; auch das Wappen über der Estrade hatte unter zerstörerischen Schwerthieben gelitten.
Die einstmals gekalkten Wände wirkten schmutzig. Die speckige Dreckschicht des riesigen Schragentisches trug die Spuren von Schwerthieben und Gelagen, und ein Rudel Hunde schoss knurrend und bellend aus der Kaminecke. Doch auf den scharfen Befehl des Hausherrn hin duckten sie sich gehorsam und drängten sich winselnd um seine Beine.
»Großer Gott«, murmelte Kérven. »Es ist ein Glück, dass meine Mutter diesen Saustall nicht mehr zu Gesicht bekommen hat!«
»Die Leute sahen keinen Grund, für die Männer zu arbeiten, die in der Burg hausten, Seigneur«, sagte de Mar entschuldigend.
»Gibt es denn wenigstens irgendwo einen Platz, an dem ich heute Nacht ohne Angst vor Ratten und Höhen schlafen kann?«, erkundigte sich Kérven grimmig.
»Die Mägde sind bereits an der Arbeit, Seigneur«, erwiderte Ludos Großvater und scheuchte mit einer Geste die Neugierigen fort, die ihnen gefolgt waren. Es waren so viele Frauen unter ihnen, dass Graciana sich fragte, wer wohl den Kampf gegen die Ratten und Flöhe führte.
Sie war aus dem Kloster an bedingungslosen Gehorsam und harte Arbeit gewöhnt, und sie presste die Lippen tadelnd aufeinander, als sie bemerkte, dass man den Befehlen des Alten zwar folgte, aber keinesfalls so emsig und schnell, wie es sich gehört hätte. In dieser Burg fehlte mit Sicherheit eine ordnende Hand.
»Nun gut, jetzt könnt ihr ohnehin nichts tun«, meinte der Seigneur. »Wir werden sehen, was wir bis zum Winter bewerkstelligen können. Wie sieht es mit der Ernte aus? Ich nehme an, wir müssen Korn kaufen?«
Graciana lauschte den Auskünften und schwieg. Bisher hatte sich der Ritter nicht die Mühe gemacht, sie vorzustellen oder eine Auskunft darüber zu geben, welche Rolle er ihr zugedacht hatte. Sie bemerkte die neugierigen Blicke, die ihr galten, und dankte Dame Jolanthe im Geiste einmal mehr für das wunderbare Gewand, das ihr wenigstens den Anschein von Rechtschaffenheit gab.
Man hätte meinen können, Kérven hätte sie vergessen, aber er hatte sie immer noch am Handgelenk gepackt, so dass sie sich keinen Schritt von ihm entfernen konnte. So blieb sie geduldig stehen und bemühte sich, ihre Gedanken hinter einer ausdruckslosen Miene zu verbergen.
»Gut.« Der Seigneur nickte, dann blickte er Graciana an. »Verstehst du etwas von den Arbeiten, die in einem Haus anfallen?«
»Selbstverständlich!«
Unwillkürlich reckte sie das Kinn und blitzte ihn an.
Wenn sie etwas gelernt hatte neben all dem gelehrten Unterricht von Mutter Elissa, dann war es, ihre Hände zu gebrauchen und den alltäglichen Ablauf des Lebens zwischen Frühmesse und Abendgebet zu organisieren.
»Das trifft sich gut«, stellte Kérven fest. »Du kannst dafür sorgen, dass dieser Schweinestall halbwegs bewohnbar ist, bis ich wieder aus Rennes zurück bin. Dann hast du eine Aufgabe und kommst nicht in Versuchung, dich zu langweilen. Ihr sorgt mir dafür dass sie alle Unterstützung erhält, die dafür nötig ist, Fiacre!«
»Selbstverständlich, Herr! Erlaubt mir die Frage, die Dame ... ist Eure Gemahlin?«
Die winzige Pause zeigte, dass er zwar seine Zweifel an der Tatsache hatte, aber andererseits die wunderschöne, schweigsame junge Frau auch nicht beleidigen wollte. Zwar hatte sie vorhin, als der Seigneur sein Ross zügelte, alles andere als damenhaft gewirkt, aber nun glich sie einem Muster an frommer Wohlerzogenheit.
»Nein, wahrhaftig nicht«, fuhr der Seigneur auf und runzelte die Stirn bei dieser Vorstellung. »Wenn ich einmal heirate, dann wird es eine Frau aus edelstem Blut sein, die mir würdige Erben schenken kann. Graciana ist ...« Jetzt zögerte auch er kurz. »Sie ist meine persönliche Dienerin. Meine Gefährtin, die allein mir zu gehorchen hat. Ihre Befehle sind die meinen!«
Graciana erstarrte. Seine Worte trafen sie, weckten Bitterkeit in ihr. Eine Ehefrau aus edelstem Blut wollte er. Und
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