Graciana - Das Rätsel der Perle
wie stand es um ihr eigenes »edles Blut«? Nun, sie war die Tochter einer Selbstmörderin und eines Mordbrenners! Und seit sie um diese Tatsache wusste, hatte sie dieses unheilvolle Erbe auch noch bestätigt. Sie hatte ihre Tugend, ihre Frömmigkeit und ihre Keuschheit für ein elendes bisschen Leben eingetauscht, in dem sie nicht einmal mehr das Recht auf den Respekt der Dienstboten besaß!
»Nein, natürlich nicht!« Kérvens unwirsche Auskunft zeigte, dass das Gespräch fortgesetzt worden war, ohne dass sie richtig zugehört hatte. »Graciana wird bei mir bleiben. Sorgt dafür, dass das Gemach meiner Eltern am südlichen Söller gereinigt und gelüftet wird. Auf einem der Fuhrwerke muss genügend Hausrat sein, damit es notdürftig ausgestattet werden kann. Um den Rest kümmern wir uns später. Eine Magd soll Graciana hinaufführen, damit sie die Angelegenheit zu meiner Zufriedenheit überwachen kann.«
Graciana hätte sich noch mehr gegrämt, hätte sie die Befehle gehört, die ihrer Person galten, sobald sie außer Sichtweite war.
»Ihr haftet mir mit Eurem Kopf dafür, dass diese junge Frau Lunaudaie nicht verlässt, Fiacre!«, erklärte Kérven des Iles knapp. »Wenn es nötig sein sollte, dass sie in die Stadt geht, muss sie von zwei Dienern begleitet werden, die sie beschützen und sicher zurückbringen.«
Fiacre de Mar verbarg mit Mühe sein Erstaunen. Handelte es sich bei dem schönen Mädchen nun um die Geliebte des Herrn oder um seine Gefangene?
»Wollt Ihr mir nicht den Grund für eine solche Bewachung verraten?«, erkundigte er sich. »Es wäre besser, wenn ich wüsste, wovor ich die Dame schützen soll!«
Kérven erinnerte sich an Gracianas Albträume und schüttelte den Kopf. Auch wenn sie die letzten Tage zusammen verbracht hatten, so hatte er noch keines der Rätsel gelöst, die sie umgaben. Sie hatte ihre ganz eigene Art, Fragen nicht zu beantworten, und er hatte das ärgerliche Gefühl, er wusste jetzt noch weniger als zuvor.
»Tut, worum ich Euch bitte, und es wird für uns alle von Nutzen sein. Ich werde mich selbst um das Schicksal des Mädchens kümmern, sobald ich aus Rennes zurück bin. Bis dahin lasst ihr Freiheit, so weit es die Angelegenheiten des Hauses betrifft, und sorgt dafür, dass es ihr an nichts fehlt. Gebt mir eine Liste der Dinge, die Lunaudaie dringend benötigt, so dass ich mich um die nötigen Einzelheiten kümmern kann, ehe der Winter die Straßen in Schlammbäche verwandelt. Ich nehme an, Ihr habt das Amt Eures Sohnes versehen?«
Der Alte machte eine schweigende Reverenz.
»Dann sollt Ihr es auch behalten, so lange es Euer Wunsch ist. Ihr wisst dass ich niemandem so sehr vertraue wie Euch!«
Das Lob machte den alten Mann verlegen, aber man konnte trotzdem erkennen, dass es ihm auch Freude bereitete. Kérven wusste seine Männer für sich einzunehmen. Er war nicht mehr der ungestüme junge Ritter, der Lunaudaie verlassen hatte, um für Jean de Montfort zu kämpfen. Die vergangenen Jahre hatten aus dem Knaben einen Mann gemacht.
»Seine Gnaden, der Herzog, hat mir die Ehre erwiesen, mein Lehen zur Grafschaft zu erheben«, fügte der Ritter nun stolz hinzu. »Es ist mein Ziel, Lunaudaie zur blühendsten Grafschaft dieser Gegend zu machen!«
»Ihr werdet es zweifellos erreichen«, entgegnete Fiacre de Mar in tiefem Ernst. »Euer Vater, mein Waffenbruder, wäre stolz auf Eure Taten, wenn ich das sagen darf, Messire!«
Jetzt war es Kérven, der verlegen nach Worten suchte. Er hatte seinen Vater verehrt und sehr getrauert, als er auf dem Schlachtfeld den Tod fand. Ein tiefer Atemzug weitete seine Brust, dann schaute er sich um.
»Bis dahin gibt es aber noch viel zu tun!«
8. Kapitel
Ihr lasst mich allein?«
Graciana klang dermaßen fassungslos, dass Kérven des Iles leise lachte. »Soll ich mich jetzt geschmeichelt fühlen, dass du mich vermissen wirst?«
Sie wollte ihm schon sagen, dass er schon ziemlich närrisch sein müsste, wenn er wirklich glaubte, sie würde ihn vermissen, tat es dann aber doch nicht. Begriff er nicht, dass es sie einfach erschreckte, ganz allein unter all diesen Fremden bleiben zu müssen, in einer unvertrauten Umgebung, ohne ein bekanntes Gesicht? Sie hatte inzwischen doch überhaupt nichts Vertrautes mehr!
Kérven versuchte, die wechselnden Ausdrücke auf ihrem Gesicht zu deuten. Er erkannte Empörung, Hilflosigkeit und auch eine anrührende Tapferkeit. Was immer sie bisher erlebt hatte, es musste sie zu der Ansicht gebracht haben,
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