Graciana - Das Rätsel der Perle
An dünne Strohsäcke, Kälte und im Winter das Eis in der Waschschüssel. Vielleicht sauberer als dieser Raum, aber weder luxuriöser noch bequemer. Worüber beschwerte sie sich? Sie war nichts anderes gewöhnt ...
Sie glitt eben in jenen erschöpften, bleischweren Schlummer, der sie über viele Stunden des Tages brachte, als die Tür so heftig aufgerissen wurde, dass sie umschlug, gegen die Wand prallte und wieder zurückschoss.
»Lieber Gott, das stinkt abscheulich hier«, schimpfte eine ältliche, schmuddelige Bedienerin und knallte das Tablett mit dem Morgenimbiss unwillig auf den Tisch.
Sie hatte es freiwillig übernommen, in den Turm zur Gefangenen zu gehen, weil die Magd, die Graciana normalerweise versorgte, an diesem Morgen nicht erschienen war. Alle in der Burg waren neugierig auf das fremde Frauenzimmer, das angeblich die Tochter des Herrn sein sollte. Besonders hübsch sah sie ja nicht aus. Die Magd rümpfte die Nase und betrachtete das totenblasse, hohlwangige Mädchen im Schein des milchigen Tageslichtes, das durch die hohen Fensternischen hereinfiel.
»Habt Ihr Euch übergeben?«
Graciana ersparte sich die Antwort. Man roch es nur zu deutlich.
»Passiert Euch das öfter?«, forschte die Frau jetzt in einem deutlich milderen Ton.
»Jeden Morgen«, ächzte Graciana ergeben und schloss müde wieder die Augen.
»Ach, du meine Güte!«
Die Dienerin beugte sich über die junge Frau und strich ihr unerwartet sanft die Haare aus der Stirn. Dann schlug sie, ohne auf Gracianas Protest zu achten, den Umhang auseinander und schob das zerrissene Kleid auf. Der Körper, schmutzig, von verblassenden Striemen der Folterfesseln gezeichnet, war dennoch blühend.
»Spürt Ihr Eure Brüste, Mädchen? Sind sie größer geworden?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Graciana von der mütterlichen Sorge dieser fremden Frau aus ihrer schmerzlichen Trance gerissen. »Sie fühlen sich seit einiger Zeit seltsam an. Es schmerzt nicht, es ist nur anders ...«
»Und wann hast du zum letzten Mal geblutet?«
Die Bedienerin gab die respektvolle Anrede auf. Das anstehende Problem erforderte eine gewisse Vertrautheit unter Frauen, bei der überflüssige Höflichkeit nur schaden konnte.
Graciana zuckte verlegen mit den Schultern. Sie hatte nicht darauf geachtet. In ihrer augenblicklichen Lage hatte sie anderes zu tun, als über ihren Körper nachzusinnen ...
»Heilige Mutter Gottes«, die ältliche Magd stieß eine Mischung aus Seufzer und Gebet aus. »Du hast keine Ahnung, nicht wahr?«
»Wovon?«
»Es sieht ganz danach aus, als würdest du ein Kind bekommen. Hast du bei einem Mann gelegen, ehe man dich nach Cado brachte?«
»Ein Kind?« Graciana lachte fast, so absurd erschien ihr dieser Gedanke. »Wie sollte ich ein Kind bekommen? Das ist völlig unmöglich!«
»Dann bist du noch Jungfrau?«
Das zögernde Kopfschütteln entlockte der Frau einen neuerlichen Seufzer. Sie bemerkte auch die sachte Röte, die langsam, aber unaufhaltsam unter der schmutzigen Haut in das schmale Gesicht stieg. Sauber war sie vermutlich hübsch genug, um einen jeden Mann zu reizen. Hatte man sie vergewaltigt? Immer waren es die Unschuldigen, die das Schicksal strafte.
»Du hast also doch einen Mann empfangen, nicht wahr? Wenn er dir seinen Samen gegeben hat, ist kein Zweifel möglich. Du wirst ein Kindchen bekommen. Da man dir sonst noch nicht viel ansieht, würde ich sagen, es ist im frühen Sommer so weit.«
»Ein Kind?«, wiederholte Graciana nun in absoluter Fassungslosigkeit. Ihre Augen weiteten sich ungläubig.
»Ich habe keinen Zweifel. Das erklärt auch deine morgendliche Übelkeit. Die meisten Frauen sind zu Beginn der Erwartung damit geschlagen. Wenn sich dein Leib weiter rundet, wirst du dich besser fühlen.«
Graciana starrte in das faltige Gesicht der Magd. Im Unterkiefer fehlte ihr bereits eine Reihe von Zähnen, aber das Lächeln, mit dem sie ihr Mut zu machen versuchte, wärmte ihre kleinen Augen und kam direkt aus einem mitfühlenden Herzen.
»Armes Täubchen. Du wirst es deinem Vater irgendwann sagen müssen«, riet sie ihr sanft. »Es ist nicht richtig, dass du hier in der Kälte liegst und dein Kindchen vielleicht Schaden erleidet.«
»Ein Kind«, murmelte Graciana immer noch völlig fassungslos. »Ich bekomme ein Kind!«
Sie lauschte der eigenen heiseren Stimme und die Worte hallten in ihren Ohren nach. Gleichzeitig hörte sie das Blut in ihren Adern rauschen, ihr Herz schien schneller zu klopfen, und in ihren
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