Graciana - Das Rätsel der Perle
sehen? Vielleicht bekam es jene dunkelblauen, wundervollen Augen, den kastanienfarbenen Schimmer seiner Haare oder jenes hinreißende Lächeln, das ihn richtig verwandelte. Sie würde keine Angst mehr haben müssen, dass sich seine Züge im Laufe der Zeit in ihrer Erinnerung verloren. Sie hatte etwas unendlich viel Kostbareres – ein Kind von ihm!
Die Magd, die kurze Zeit darauf mit einem Krug frischer Ziegenmilch und den versprochenen runden Kuchen erschien, die zwar nicht mehr frisch, aber noch genießbar waren, fand eine junge Frau vor, die wie von Zauberhand verwandelt worden war. Kein bedauernswertes Opfer, mit dem sie Mitleid haben konnte, sondern plötzlich eine Herrin, die vor ihr aufragte und Bitten aussprach, welche sich arg nach Befehlen anhörten.
»Kannst du mir Wasser bringen?«, erkundigte sie sich freundlich, aber energisch. »Einen Kamm vielleicht und, wenn es geht, Nadel und Faden? Ich muss meine Kleider flicken und mich säubern!«
»Ich frage den Seigneur«, erwiderte die Frau, die den strikten Befehl des Burgherrn kannte, dass das Mädchen in der Turmkammer nichts außer Essen und Trinken erhalten sollte.
»Es kann ihm kaum daran liegen, dass ich halbnackt hier herumsitze«, meinte Graciana trocken. »Vielleicht vermisst er ja auch seinen Umhang ...«
»Den hat dir der Schwarze Landry gegeben«, platzte die Magd heraus.
»Dann frag ihn, ob er meine Wünsche erfüllt!« Graciana blieb hartnäckig.
»Na so was ...«, murmelte die verblüffte Bedienerin und ergriff die Flucht, ehe sie noch mehr Wünsche, Aufträge und Vorschriften präsentiert bekam.
Graciana runzelte die Stirn. Wenigstens einer von Cocherels Männern schien so etwas wie ein Herz in der Brust zu tragen. Die Bestätigung dafür erhielt sie noch am selben Tag, als der Schwarze Landry in ihre Kammer marschierte, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, dass er ihr einen solchen Besuch abstattete, ohne dass er von seinem Herrn begleitet wurde. Sie sah auf und zog den Umhang vor der Brust zusammen, weil sie noch immer kein Nähzeug erhalten hatte, um die schlimmsten Risse in ihrem Gewand zu beseitigen.
»Was willst du?«, fragte sie so angriffslustig, dass er überrascht die Stirn runzelte.
»Keine Sorge, Ihr müsst nichts von mir befürchten«, besänftigte er sie. »Ich überlasse es Eurem Vater, die Klinge mit Euch zu kreuzen!«
»Meinem Vater«, wiederholte sie spöttisch. »Eine feine Verwandtschaft, die ich da habe. Und was bist du, der Hofhund seines Herrn? Was hat dich dazu getrieben, dich einer Mörderbande anzuschließen, die Angst und Schrecken über deine Heimat bringt?«
Die ungewohnte Angriffslust der in letzter Zeit so schweigsamen und lethargischen Gefangenen verblüffte den Schwarzen Landry gehörig. Er fragte sich, was geschehen sein mochte, dass sie aus heiterem Himmel ihre Krallen an ihm wetzte.
»Ihr solltet Euch lieber für Euer eigenes Los interessieren und nicht für meines«, entgegnete er trocken. »Oder seid Ihr so angetan von Cado, dass Ihr die Festung zu Eurer neuen Heimat wählt?«
Graciana erhob sich von ihrem Hocker. Diese Art von Unterhaltung führte sich schlecht, wenn man ständig aufsehen musste.
»Was wollt Ihr?«
»Vielleicht Euren Dank, nachdem ich Euch meinen Plan erläutert habe.«
»Welchen Plan?«
»Ihr gehört nicht in diese Burg«, erklärte der Schwarze Landry schroff. »Was auch immer Paskal Cocherel plant, er sollte es ohne Euch tun. Ihr habt nichts zu schaffen mit seinen Plänen. Es ist schlimm genug, dass er Eure Mutter ins Unglück gestürzt hat, er sollte es nicht noch mit der eigenen Tochter tun!«
»Wie recht du damit hast«, gab Graciana verblüfft zu. »Zeig mir einen Weg, und ich bin fort, ehe dein Herr sich einmal umdreht, oder denkst du, ich legte Wert auf seine väterliche Zuneigung? Dieser Mann verspürt nicht mehr Liebe als einer jener Felsen, die hier zu Granitsteinen behauen wurden!«
Sie hieb mit der Faust gegen die steinernen Wände, als wollte sie ihre Worte unterstreichen. Es musste weh getan haben, aber kein Laut kam über ihre Lippen.
»Dann vertraut mir und haltet Euch bereit«, entgegnete der Schwarze Landry. »Es ist möglich, dass wir sehr schnell handeln müssen.«
»Dir vertrauen?«, spottete Graciana. »Verlangst du nicht ein bisschen viel von meiner Einfältigkeit? Wer einer Viper vertraut, stirbt am Ende an Gift! Oder muss ich dich daran erinnern, wem ich es verdanke, in diesem Rattennest zu leben?«
»Ich hatte ebenso wenig eine
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