Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
zu geben, indem dieser Satansdiener gezielt seinen Samen mit Ketzerblut vermengte; heute noch heimlich, doch mo r gen wird er diese Brut als Herrscher einer ›ne u en Welt‹ präsentieren, einer Welt, in der das Amt des höchsten Priesters – oder der Priesterin – mit dem des irdischen Herrschers zusammenfällt – ein ketzerisches Stauferkaiser-Papsttum auf immer und ewig!«
Der Bischof hatte ihm verwundert zugehört. »Das hättet Ihr dem Konzil vortragen sollen, Vitus, doch Ihr kommt zu spät, die Würfel zu Lyon sind schon gefallen.«
»Die Kirche, der Papst haben zwar einen schönen Sieg davongetragen, doch der Antichrist ist nicht vernichtet – noch züngelt die Brut!«
»Habt Ihr je bedacht, Vitus von Viterbo«, entgegnete der Bischof nachdenklich, »daß es sich auch anders verhalten könnte? Daß wir hier einer weltweiten Konspiration geg e nüberstehen, in der Satan seinen verderbten Samen, unter Zuhilfenahme von Ketzerblut oder noch Ärgerem, mit der ›Macht auf Erden‹ verbinden will. Denn noch breitet sich das imperiale Spinnennetz von Lübeck bis Akkon, von N i caea bis Zaragossa, und wenn Friedrich dereinst zur Hölle fährt, dann stehen vielleicht Erben bereit, die nicht unb e dingt die Farben der Staufer hoc h halten, sondern sich unter einem ganz anderen Banner sammeln: die Heerscharen des Fürsten der Finsternis! Ich warne Euch: Hier greift ein g e heimer Bund nach der Herrschaft. Der Staufer in seiner Deszendenz wird nur benutzt, das neue Herrscherpaar ist Frucht einer bewu ß ten, groß angelegten Planung –«
Durand hatte sich in Rage geredet, Loba wunderte sich, daß er nicht aufgesprungen war; seine Eisenklaue zeic h nete seltsame Linien in die Luft – der andere Arm war wohl gelähmt –, als er jetzt mit verklärtem Blick rezitie r te: » › Uf einem grüenen achma r d i truoc si den wünsch von pardis daz waz ein dinc, das hiez der gral!«
Da stand Loba auf; ihre Augen funkelten. »Ihr zielt zu hoch – und daneben, meine Herren: Wenn nicht auch Sitten und Gebräuche der Pharaonen eingeführt werden, können Eure zukünftigen Weltenherrscher einander nicht heiraten: Sie sind Geschwister, Zwillinge!«
»Wachen!« brüllte Vitus, und die kamen sofort herei n gestürzt. »Fesselt dieses Weib!«
»Keine Not!« fauchte Loba. »Wem sein Augenlicht lieb, bleibe mir fern! Wollt Ihr mich tot oder geständig?«
»Laßt sie reden!« befahl der Inquisitor, und Vitus gab sich drein.
»Das Kind der Blanchefleur war eine Totgeburt: Ich h a be den Sud zum abortus selbst bereitet, den foetus als Dank erhalten.«
»Hexe!« schnaubte Vitus. »Verdammte Hexe!«
Loba lachte ihm ins Gesicht, eine zähnefletschende Wö l fin. »Esclarmonde hatte Zwillinge geboren aus einem Ve r hältnis mit einem Reitknecht, der auf der Burg diente –«
»Elende Lügnerin!« heulte Vitus auf. »Der Kaiser war ’ s!«
»Die Vergewaltigung durch den Staufer hat sie erfu n den, weil sie den Zorn ihres Vaters fürchtete. Sie suchte me i nen Rat zu spät; über die Dauer der Reise war zuviel Zeit vergangen. Wir versuchten alles, um das werdende Leben abzutöten – was auch nicht ohne Folgen blieb –, doch die Schwangerschaft war zu weit fortgeschritten, und E s clarmonde war ein kräftiges Weibsbild. Die Kinder sind die zwei unseligen Bastarde der Ketzerin, blöd geboren!«
»Kommt näher!« lockte der Inquisitor mit seiner eise r nen Klaue. »Wer hat dich bezahlt für die Abtreibung der kleinen Blanchefleur?« spie er Loba wie eine Schlange sein Gift ins Gesicht. »War es eine hohe Dame?« schrie er sie an mit überschnappender Stimme. »Hast du sie gesehen?«
Loba schüttelte stolz ihre schwarze Mähne.
»Kam sie in einer Sänfte?«
»Nein«, sagte Loba ruhig.
»Sie ist es, sie ist es!« kreischte Durand schrill dazw i schen.
Vitus gab den Soldaten ein Zeichen. Je zwei traten rechts und links neben den zeternden Bischof und hoben ihn gleichzeitig hoch, zusammen mit seinem Stuhl. Durand hatte keine Beine mehr. Sie trugen ihn hinaus.
»Nein«, wiederholte Loba, »Blanchefleur wußte nicht, daß ihr Kind tot im Leibe war, als man sie mir brachte. Ich leitete den Abgang erst ein, als ich sicher war, daß die Tochter des Kastellans Zwillinge unterm Herzen trug.« Angelockt durch den spektakulären Auszug des Bischofs, hatte Yves der Bretone wieder den Raum betreten. Er hörte sich auch den Schluß des Berichtes an.
»Blanchefleur«, schloß Loba furchtlos, »hat es nicht gemerkt, daß das Kind neben
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