Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
verziehen.«
Auch Clarion richtete sich wieder auf und trocknete ihre Tränen. »Es ist ja nicht für lang, Laurence – und wenn wir alle Opfer bringen müssen, dann sollten wir es uns nicht unnötig schwermachen.«
»Du hättest dich ja auch weigern können«, entschuldigte Laurence ihre Heftigkeit. »Es hätte nichts genutzt, aber ich hätte gespürt, daß du mich liebst, nur mich!«
Clarion streichelte über das Haar der Gräfin, die sich hi l fesuchend an sie lehnte. »Bald bin ich wieder bei dir, bin wieder deine Hur, dein Liebling, dein schamloses Mensch!« Beide mußten l ac hen. »Was treibt eigentlich di e se Dirne«, lenkte Clarion ab und begann wieder Or d nung in die Schatullen zu bringen, »die so scharf auf u n seren Mönch ist?«
Laurence war wieder ans Fenster getreten, konnte aber das Schiff des Weibsstücks im kleinen Hafen im Dunkeln nicht mehr ausmachen. Sichtbar flackerte dort unten nur das Leuchtfeuer der Hafeneinfahrt.
»Diese Person besitzt die Frechheit, die Weiterfahrt zu verweigern, bis man ihr William ausliefert. Um Ärger zu vermeiden, hat Hamo ihr für heute nacht gestattet, noch zu bleiben.«
»Und morgen früh sind wir mit ihrem Schatz längst über alle Berge«, frohlockte Clarion. »Sie wird sich wu n dern!«
»Morgen früh werde ich sie davonjagen!«
»Laß sie wissen«, warf Clarion ein, die von Hamo über Sinn und Zweck der Reise informiert war, »daß William mit den Kindern vor ihr geflohen ist. Je mehr Gerede um die Reise des Mönches William von Roebruk entsteht, de s to besser ist sie gelungen – nur deswegen nehme ich auch diesen kostbaren Tand mit, um unterwegs soviel Aufsehen zu erregen wie nur irgend möglich!«
»Liebling, du bist und bleibst eine Hur!« Laurence umarmte ihre Ziehtochter; sie küßten sich wie Ertrinkende, ihre Hände tasteten sich mit zunehmender Gier über ihre Körper, schwankend bereit, nochmals aufs Bett zu fallen. Dann riß Clarion sich los.
»Sie warten auf mich!«
Die Gräfin läutete nach den Trägern, und sie begaben sich durch die nächtliche Burg zum Haupttor, wo sich auch Elia eingefunden hatte, der Hamo die letzten A n weisungen für die Reise gab.
Laurence verabschiedete Clarion vor dem Fallgitter. Sie hatte nicht vor, ihren Sohn zu verabschieden.
In dem dunklen Zimmer, das William beherbergt hatte, knarrte leise die Bodenluke unter dem leeren Bett.
»William?« flüsterte Yezas Stimmchen. »William!«
Keine Antwort. Nur das Mondlicht fiel durch das vergi t terte Fenster. Sie stieß die Klappe mit aller Kraft unter die Matratze, einige Male, mit zunehmender Sorge, die sich zur Angst wandelte.
»Er ist weg«, sagte sie traurig zu dem sie haltenden Roç.
»Bist du sicher?«
»Wenn er schläft, schnarcht er«, flüsterte Yeza. »Sie h a ben ihn weggebracht!«
»Aufs Schiff, Yeza!« knurrte Roç und zog sie heftig an ihren Beinen zurück. Die Klappe knallte über ihren Kö p fen. »Aufs Schiff«, fauchte er in wütender Genugtuung, »wie ich dir gesagt habe!«
Sie krochen den Gang zurück, bis sie an eine Maueröf f nung kamen, von der aus sie den Lastensegler an der M o le sehen konnten. Er war also noch da.
»Komm!« sagte Roç energisch. »Die legen uns nicht rein!«
Sie stiegen die in der Mauer verborgene Wendeltreppe hinab, sich in völliger Finsterkeit vortastend.
»Ich werde im Zimmer unsere Sachen packen«, ordnete Yeza verschwörerisch an. Wenn es um den entscheide n den Anstoß zu Streichen und Abenteuern ging, war sie immer die erste; für Vorbereitung und Durchführung war Roç z u ständig. Aber sie kommandierte: »Und du schleichst dich in die Küche und klaust Schinken und Äpfel. Wir brauchen nämlich Proviant!«
Roç war die Arbeitsteilung recht, und nur, um von se i nem Sachwissen auch etwas beizusteuern, ermahnte er sie: »Nimm auch Wollzeug und warme Decken mit, auf dem Meer ist es nachts sehr kalt!«
»Wir treffen uns an der Rutsche, bei den Futterka m mern, hinter den Ställen«, flüsterte Yeza. »Die Treppe ist zu gefährlich, jemand könnte uns begegnen.«
»Und dann rutschen wir den Geheimgang runter und kommen genau beim Schiff raus –«
»- oder fallen ins Wasser!« Während Yeza trotz ihrer Phantasie und der schnellen Bereitschaft, etwas auszuh e cken, stets auch ei n g esundes Mißtrauen bewies, wurde Roç mit zunehmendem Einstieg ins Abenteuer vom au f merksamen, beharrlichen Forscher zum tollkühnen Drau f gänger. Angst kannten sie freilich beide nicht.
»Ach was«, sagte
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