Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
–«
»Und wohin sollen wir ziehen?«
»Reitet im Zickzack, mal gen Benevent, mal gen Sale r no, als wolltet Ihr ihn abschütteln, was ihn noch mehr in seinem Stolz kränken wird. Seine Nerven werden strap a ziert –«
»Meine auch!« schnaubte Hamo leicht verächtlich. »Wohin also?«
»Wenn Ihr schließlich in gemächlichem Trott Salerno erreicht habt, löst Ihr Euch von den Staufern, gebt den Pferden die Sporen und sprengt in schärfstem Trab bis Amalfi. Dort besteigt Ihr sofort das Schiff, das ich für Euch bereithalten werde. Wir segeln umgehend ab!«
»Und sind unsere Verfolger los?« warf Hamo argwö h nisch ein.
»Wenn Ihr so wollt, junger Herr«, sagte Guiscard, »dann sieht er uns nie wieder. Ich vermag Euch auch zu vers i chern, daß die Muränen in unserer Bucht kein Stück von Pferd und Reiter übriglassen werden – ganz wie beliebt!«
»Das ist mir zu einfach und zu schnell!« ereiferte sich Hamo. »Ich will eine Spur durchs ganze Land legen, Rom soll sich das Maul zerreißen –«
»Ich danke Euch, junger Herr, für die Herausforderung«, Guiscards graue Normannenaugen blitzten, »und nehme sie mit Freuden an. In dem Fall segeln wir nur um das Kap von Sorrent und verstecken uns. Unser Freund wird das nächste Schiff mieten – es wird teuer sein – und sich an die Verfo l gung machen. Er wird bis Ostia segeln, Tag und Nacht, denn nun ist er in Panik; er wird die päpstl i che Flotte aus dem Tiberhafen holen und einen Sperrgürtel zwischen C i vitavecchia und Elba legen, um sicherz u gehen, daß wir nicht die Toscana betreten oder gen Pisa entkommen. Er wird des weiteren die päpstlichen Truppen die Cassia hochhetzen, um einen zweiten Gürtel zu legen von Viter-bo bis Orvieto; denn er wird – mit Recht – annehmen, daß wir so schnell wie möglich das kaise r treue Perugia oder das Cortona des stauferischen Elia erreichen wollen –«
»Und wie sollen wir das je erreichen?« mischte ich mich kleinlaut ein, denn wenigstens kannte ich die Gegend, von der jetzt die Rede war, während Hamo nie über Neapel h i nausgekommen war, das er mal mit seiner Mutter besucht hatte. Alles nördlicher Gelegene war ihm so fremd wie das eisige Nordmeer oder der Oceanus hinter dem Dschebel al-Tarik »Wir segeln den Tiber hoch, mitten nach Rom h i nein, bis zum Ripahafen bei der Leproseninsel!« Jetzt war auch ich sprachlos.
»Nach Rom!?« Hamo war voller Bewunderung; das war nach seinem Geschmack, als sei er selbst darauf verfa l len. »Mitten durch Rom! Quer durch die Höhle des L ö wen!«
Der alte Guiscard freute sich diebisch, solch Zuspruch für seinen Wikingerstreich zu finden: »Nirgendwo wird unser Auftauchen weniger erwartet, und bis irgendwer Verdacht schöpft, sind wir schon über die Monti Tiburtini gen Rieti unterwegs!«
»Und dort erwarten uns die Sarazenen«, fügte ich hinzu, schon um zu zeigen, daß ich zu folgen imstande war.
»Sie sind unsere Reserve, sie sollten nur eingreifen, wenn wir verfolgt werden. Im Notfall müssen wir sie o p fern, um in ihrem Rücken Spoleto, Perugia – und dann Cortona zu erreichen!«
»So wird ’ s gemacht!« beschied uns Hamo, jetzt ganz Feldherr, wenn auch nicht Herr der Lage. Der römische Handstreich hatte es ihm angetan. Mir war weniger wohl zumute beim Gedanken, unter den Mauern des Castel Sant ’ Angelo vorbeizuziehen. Und ich dachte auch an die düstere Gestalt unseres Verfolgers, der nicht den Ei n druck machte, sich so leicht aufs Kreuz legen zu lassen. Ich schloß die Blindheit in mein Nachtgebet ein, mit der ihn der Herr schlagen möge.
Immerhin leuchtete mir die Taktik des alten amalfitan i schen Korsaren ein: dem Stier das rote Tuch zeigen, ihn sticheln, zermürben, entnerven, bis er vor Wut und Ung e duld schäumte – und gleichzeitig die Schärfe seiner Si n neswahrnehmung nachließ –, bis er erschlaffte und nur noch eines flehentlich erhoffte: Es möchte endlich etwas geschehen, auf das er sich stürzen könnte. Wenn auch di e ser letzte Antrieb erloschen war, dann erst kam der Stich, gleißend und schnell, wie aus der Sonne. Sein Aufbäumen würde in einen Ausbruch gelber Galle ausa r ten, denn sein gesundes Gleichgewicht der Sinne war längst ausgescha l tet, zerstört. Hitzig würde er Fehler auf Fehler machen, während wir mit kühlem Kopf den Sieg unangefochten einheimsen mochten. Amen! Wir gingen zu Bett.
Mitten in der Nacht erwachte ich, Stimmen waren dra u ßen laut geworden.
»Der Kaiser! Der Kaiser ist abgesetzt!«
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