Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
über dem Wasse r spiegel, ihnen entgegen in Bildern von solch g e fährlicher Schönheit, wie man sie nur in Träumen erdu l den muß.
Die Normannen knieten im Boot, hatten ihre Schilde schräg aufgestellt zum Schutz gegen Pfeile und hielten selbst die Bogen gespannt. Auch Hamo wurde von Gui s card gezwungen, sich solcherart Deckung zu verschaffen. Neben uns fuhr das Boot mit den Sieben aus Otranto. Sie standen aufrecht, ihre Fäuste umklammerten die Schwer t griffe. Das Banner der Gräfin flatterte gegen Rom.
»Jetzt kommt gleich der Hafen«, hörte ich Guiscard über meinem Kopf. »Wir gehen auf der Lepra-Insel an Land!«
Ich schloß die Decke schnell wieder. Meine Angst übe r stieg meine Neugier bei weitem. Im Zusammenkrümmen, eine wohl instinktive Schutzhaltung gegenüber der sich nähernden Gefahr, verlor ich meine Sandale. Ich angelte mit dem Fuß nach ihr und stieß dabei gegen etwas We i ches, ein nacktes Bein. Meine Zehen – gut daß Clarion nicht sehen konnte, wie schmutzig sie waren – tasteten sich erschrocken an ihm entlang. Mir kam es vor, als würden sie freundlich empfangen, ich vermeinte eine zitternde Err e gung des Fleisches zu spüren, das sich g e gen meinen Fuß drängte. Ich erforschte ein Knie, und mutig wanderten die kleinen Ausläufer meiner Gehwer k zeuge weiter, krabbelten einen Schenkel hoch, und noch immer kein Schrei der E m pörung, keine brüske Hand, die sie zurechtwies. Ich wagte es nicht zu glauben, über mir begann es tumultuös zu we r den, die Ruderer hatten ihre Schlagzahl erhöht, Stiefel tr a ten unruhig auf mir herum, Schreie der Leute vom Ufer drangen nur dumpf zu mir durch die Decken, deren dunkler Schutz jetzt zu meinem Himmel wurde. Energisch reckte ich mich vor, und mein Fuß war im Paradies, in einer d i cken Wolle, heiß und köstlich; jetzt galt es nur noch dem großen Zeh, allein die feuchte Furt zu ertasten und zur Pforte vorzudringen. Sie kam mir wie glühende Lava en t gegengeflossen, u m klammerte den Eindringling, schien ihn in sich aufzusaugen, während wellenartige Stöße uns durchliefen; mein Fuß erst, dann mein Bein begannen in kurzen, rhythm i schen Bewegungen, wie man ein Spinnra d t ritt, den Ga r ten zu durchfurchen, das Bachbett hinab und hinauf zu gleiten, nach der Quelle bohrend, wo doch das Bohren selber der Quell der Glückseligkeit ist, nur daß sich das Bohrloch immer weiter auftat und sich hart an mir stieß. Ich weiß nicht, wohin es geführt hätte, wenn nicht in di e sem Moment der Kiel unseres Schiffes knirschend an der Uferböschung aufgelaufen und alles über unsere Köpfe und Leiber gestiegen und gesprungen war ’ . Weiber kreischten, Flüche ertönten. Die Normannen plünderten die Warenlager des Flußhafens, die Händler ließen ihre Stände im Stich, die Bauern ihre Karren.
»Zurück!« hörte ich Guiscard schreien. »Wir müssen we i ter, wir müssen das verdammte Kastell hinter uns bri n gen!«
Doch hatte er wohl wenig Erfolg bei seinen Landsleuten. Da hörte ich Hamo rufen: »Otranto! Otranto, her zu mir!«, und gleich darauf sprangen Körper und Beine auf mich, daß mir nicht nur Hören und Sehen verging – s e hen tat ich eh nichts –, sondern auch jegliche Sinnenlust. Genau dahin hatte mich ein schwerer Stiefel getreten und ich zog schmerzerfüllt mein Liebesbein schnell wieder an mich.
Noch hastiger als zuvor ruderten wir weiter flußau f wärts, und es wurde stiller um uns, nur das Plätschern unter mir, der Schlag der Riemen.
»Die Engelsburg!« hörte ich die Stimme Guiscards leise, fast ehrfürchtig flüstern.
Mich beschlich echte Furcht, ich lugte durch den Schlitz und sah vor mir das gewaltige Rund des Gemäuers au f wachsen, uneinnehmbar, drohend. Da spürte ich ihre Hand – wie eine Schlange glitt sie unter meine Kutte, über mein Bein, verwandelte sich in ein warmes Er d hörnchen, das sich in mein Gekröse kuschelte, aus dem er aufwuchs wie ein junger Steinpilz nach dem Regen, nur viel schneller, und ebenso geschwind verwandelte sich das muntere Tie r lein in die Hand einer kundigen Pflückerin. Während sie noch prüfend den Schaft hinaufglitt, ih n f est unter der E i chel umschloß, verwandelte sich mein Fungus in einen normannischen Donjon, doch Clarion wußte, wie man Türme stürmt …
»Habt acht! Sie schießen! Pfeile!« riefen aufgeregt die Stimmen über mir; ein seltsames Pfeifen ging durch die Luft, ein Schlag, dann mehrere ließen den Bootskörper e r zittern, ein Stöhnen. »Guiscard
Weitere Kostenlose Bücher