Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
doch wissen: Wer war die kleine Hexe aus dem Turm von Pamiers? An ihren Namen kann ich mich nicht entsi n nen.«
»Ihr habt nie danach gefragt! Ach, sie hatte auch so g e hofft, ihren Sohn einmal wiederzusehen: daß Ihr ihn vie l leicht dabeihaben würdet – nun, das ist ihr erspart gebli e ben. Sie ist nach der Kapitulation des Montségur in den Untergrund gegangen – und ihren nom de guerre werd ’ ich Euch nicht verraten, noch sonst sie Euch ans Messer li e fern!«
Die Stimme aus der Sänfte schwieg, und Rainer von C a poccio blieb ebenfalls stumm. So hörten sie beide, in u n gewollter Zwei-samkeit, das sich steigernde Gefechtsget ö se; es kam näher, den Fluß herauf. Waffenklirren und Schreie drangen bis zu ihnen. Es mußten wohl Scharmü t zel am Fuß des Kastells toben; denn auf dem tiberzug e wandten Mauerring wurden jetzt die Kommandos aufg e regter und das Schwirren und Ächzen der Katapulte he f tiger. Ab und zu erschollen auch Jubelrufe von der Plat t form zu ihren Köpfen; dann war es den wackeren Schützen wohl gelu n gen, einen der Gegner zu treffen. Offe n sichtlich schossen aber die Feinde nicht zurück, zu den Zinnen hinauf, denn bisher hatte kein Pfeil sie erreicht, hatte kein einziger So l dat den Grauen Kardinal belästigt, indem er von der Mauer rücklings in den Hof stürzte, schreiend und sich windend. Es war anzunehmen, daß die Piraten nach Norden durchz u brechen versuchten, was ihnen ja nach Passieren der E n gelsburg gelingen mochte; denn in den anschließenden pr a ti wurden sie auf dem Ufer transtiberim von keiner weit e ren Befestigung mehr aufgehalten.
Der Lärm verebbte.
»Dann stillt«, nahm der Graue Kardinal das Wort auf, »mir eine Neugier wenigstens: Was hat die Prieuré b e wegt, das durch Jahrhunderte in Okzitanien bewahrte Blut, den Gral, mit einem so elenden Gebräu zu verme n gen, wie es durch die Adern der Staufer rinnt? Was ist daran dynast i sches Denken und Planen? Ein Geschlecht, dem die Verti l gung bestimmt ist? Könnt Ihr mir das s a gen?«
»Ihr mögt wohl recht haben, was die Zukunft der Staufer anbelangt – sie gehen dem Untergang entgegen –, doch Ihr Blut ist würdig und vereint alle Feinde der Capets! Das ist, wie Ihr wissen solltet, für die Prieuré von ebensolcher B e deutung wie Euch Euer blinder Haß auf die Staufer! Die Kirche, das Papsttum wird in die Hände Frankreichs ger a ten, beide zusammen werden die Ve r nichtung der Staufer zuwege bringen – doch wir retten das Blut!«
»Ihr steht also hinter den Kindern?«
»Wir schützen sie und bewahren sie vor dem Übel, bis der Tag kommt, an dem sich ihre Bestimmung offenb a ren wird. Ihr wißt um den ›Großen Plan‹, wenn Ihr auch nichts in der Hand habt; denn das Dokument – ja, auch davon weiß ich, Rainer von Capoc-cio –, das Ihr durch Eure Agenten in Euren Besitz bringen konntet, sei ’ s durch Zufall oder durch Fügung, habe ich an mich genommen. Ihr braucht es nicht schwarz auf weiß; weniger Schriftliches und mehr in den Köpfen würde der Menschheit dienlicher sein.«
»Und wenn ich eine Abschrift angefertigt hätte?« Der Graue Kardinal ließ sich nichts anmerken.
»Habt Ihr aber nicht«, beschied sie ihn kühl. »Es handelt sich auch nur um eine Kopie, eine schlechte – und unaut o risiert dazu. So oder so, Ihr werdet nolens volens zum G e lingen des Großen Plans beitragen.«
»Wie könnt Ihr annehmen, daß ich meine Loyalität g e genüber der Ecclesia catolica hintanstelle, die mich zu dem gemacht hat, was ich bin, und anstelle dessen armer Kinder Hüter werde?«
»Das ist keine Frage des Glaubens, sondern der Ve r nunft: Ihr liebt Eure Macht – und wollt sie behalten. So werdet Ihr dafür Sorge tragen, daß Euer Bastard Vitus den königlichen Kindern nicht zu nahe kommt. Weitere Anwe i sungen werden Euch zugehen, wenn es uns gegeben e r scheint. Ich habe Euch nichts weiter zu sagen.«
»Und wenn ich mich weigere?« Die Stimme des Grauen Kardinals klang nicht mehr sehr fest.
»Dann wird Euch das Leben genommen, wie ich es Euch jetzt schon nehmen könnte. Aber vorher wird Vitus vor Euren Augen erschlagen wie ein toller Fuchs, und das Geschlecht der Capoc-cio wird ausgelöscht werden bis ins dritte Glied. Küßt also den Abakus, und tut wie Euch g e heißen!«
Der schwarze Vorhang öffnete sich einen Spaltbreit, und der Befehlsstab der Großmeisterin fuhr heraus wie eine Schlange, direkt in das schmale Fenster »Nehmt Eure a l berne Maske ab!«
Der Kardinal tat es
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