Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
Süden is ’ –!«
»Ein schwarzer Mann!« schrie Yeza, nun ganz aus dem Häuschen. »Er hat eine schwarze Haut und einen Ring in der Nase!«
»Dann ist es ein Mohr!« konstatierte Roç sachlich und bemerkte nicht, wie sich die Pforte öffnete und Laurence hinter ihnen erschien. Yeza sah sie zuerst und sprang ihr von der Brüstung fast um den Hals.
»Ein schwarzer Mann! Ist der für uns?« Die Gräfin schaute verwundert, der Gedanke war ihr gar nicht g e kommen, aber warum nicht. Die Kinder brauchten jema n den, der sich nicht nur um sie kümmerte, sondern den sie auch akzeptierten, als Spielgefährten eher denn als Aufpa s ser.
»Ich schenk ’ ihn euch!« sagte sie und wollte sich gerade dem Freudengeheul entziehen, als Crean auftauchte und sie höflich zur Seite bat. Roç und Yeza stürmten davon.
Die schwere, eisenbeschlagene Tür, die weit über Kopfh ö he nur mit einer Leiter zu erreichen war, öffnete sich kna r rend. Sie schien seit Jahren nicht benutzt worden zu sein. Der normannische Donjon war als letzte Zuflucht der B e wohner des Kastells gedacht, und derlei Mißg e schick hatte Otranto seit Menschengedenken nicht getroffen, z u mindest nicht, seit Laurence hier regierte. Das letzte Mal könnte eigentlich nur gewesen sein, als die Staufer die Burg ›übe r nahmen‹.
Die Gräfin stieg vor Crean die enge, in Stein gehauene Wendeltreppe hoch, bis sie in den ersten fensterlosen Rundraum gelangten. Hier begann dann eine Holzkonstru k tion, die, von Stockwerk zu Stockwerk wieder nur mit einer einziehbaren Leiter erreichbar, sich nach oben schraubte. Alles war staubig, und Licht fiel nur durch schräge Scha r ten ein. Dann verschloß wieder ein Steingewölbe das g e samte Rund; nur in der Mitte war ein Loch, gerade groß genug, eine einzelne Person durchz u lassen.
Crean folgte der Gräfin, und nach halsbrecherischem Durchqueren von weiteren Stockwerken, von denen jetzt Schießscharten in alle Richtungen gingen, gelangten sie auf eine offene Plattform, die durch einen doppelten Zinnen k ranz gesichert war.
Vor ihnen befand sich eine mächtige Steinkuppel, mit einer Art Tor in der Wölbung, das sich aber von außen nicht öffnen ließ. Laurence schob eine der inneren Zi n nen zur Seite und legte den Einstieg frei.
Sie krochen unter der Mauer durch in das Gewölbe. Es war stockfinster bis auf ein paar dünne Lichtstrahlen, die durch feine Risse im Holz des Tores drangen. Laurence tastete nach einer Eisenkette, und ächzend klappte das Tor auf, wie ein sich öffnendes Maul. Das helle Sonne n licht fiel auf die Kinder, die davor gehockt hatten und über das Erstaunen der beiden Erwachsenen hellauf lac h ten.
»Wie seid ihr denn –?« forschte die Gräfin streng, brach aber mitten im Satz ab, denn Yeza drehte sich wie ein Kreisel, um das Steigen einer engen Wendeltreppe zu b e schreiben; sie drehte sich immer schneller, bis ihr schwin d lig wurde.
»Du wirst noch runterfallen!« sagte Crean, der sie aufg e fangen hatte.
»Es geht viel schneller als ihr mit eurer Leiter!« brüstete sich Roç selbstbewußt. »Es gibt sogar zwei von diesen Treppen. Die eine geht in den Keller, und die andere – vie l leicht bis zum Hafen –«
»Das wissen wir natürlich nicht!« warf Yeza schnell ein. »Aber sie geht tief in die Erde!«
»So«, sagte die Gräfin und überging die Schilderung ihr unbekannter Geheimpfade. »Dann könnt ihr ja auch a l lein wieder nach unten!«
»Wir bitten darum, hierbleiben zu dürfen?« Yeza wußte Lau-rence am ehesten zu nehmen – die Gräfin konnte dem Mädchen kaum etwas abschlagen, vielleicht gerade weil es bei jeder Bestrafung verlangte, gleiches Maß wie Roç zu beziehen, ja sich of t f ür ihn anbot, wobei Laure n ce klar war, daß Yeza meist auch die eigentlich Schuld i ge war, die Anstifterin.
Die Gräfin schaute fragend zu Crean, der nickend sein Einverständnis gab. Wie sollten die Kinder verstehen, we l che Nachricht er durchzugeben hatte; nicht mal La u rence würde den Kode der Assassinen entziffern können, mochte sie noch soviel Erfahrung mit dem Signalisieren haben.
»Mein ganzes Leben«, freute sich Roç mit dankbarem Blick, »habe ich mir gewünscht zu sehen, wie das hier geht, mit dem Leuchtfeuer – am hellen Tag?«
»Geht zur Seite«, sagte Laurence, »und keinen Mucks!«
Sie zerrte eine verblichene Decke aus dünnem Leder von der gebogenen Holzwand, die sich in ihrem Rücken b e fand, und der Spiegel kam zum Vorschein. Er war aus vi e len schwarz
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