Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
nicht Onkel nennen sollst«, nahm zärtlich die braune Hand des Jüngeren und ließ ihn den Zug au s führen. »Wir haben immerhin die gleiche Großmutter, und – ïýê ἒ óôéí ïýäåßò, ὄ óôéò ïý ϰ áýôö ößëïò –« , er schlug mit g e schicktem Schlenker den vorgeschobenen weißen Läufer, daß er vom Brett sprang, »meine alte Dame kommt auch so ans Ziel – gardez!«
Hamo schaute nicht sonderlich betrübt; er spielte mit Nicola mehr, damit dieser auf andere Gedanken kam, als – unter dem Vorwand, ständig neue Kleidungsstücke anzu p robieren – an ihm herumzufingern. So tat er ihm den erwa r teten Gefallen nicht, die praktisch verlorene Partie gleich zu beenden, sondern vollzog tollkühn den Damentausch, der sie nochmals in die Länge gezogen hätte.
Doch der Bischof verspürte keine Lust mehr. Die H e rausforderung, die er bei Hamo suchte, sollte nicht auf dem Schachbrett stattfinden. Süß-säuerlich erklärte er: »R e mis?«, weniger ein Angebot als eine großzügige Geste, und erhob sich.
Hamo stierte einen Moment noch auf das Feld und die wirre Position seiner Mannen. Dann gab er ihm einen Stoß, der ausgleichend fast alle Figuren stürzen ließ.
»So töricht wie du«, schalt ihn Nicola lächelnd, »verhält sich nur unser Kaiser, ich meine Balduin.«
Hamos Blick folgte dem des Bischofs über das weit gr ö ßere marmorne Schachfeld, das den tiefergelegten Boden des ganzen Saales bedeckte und, auf raffinierte Weise in schwarzweiße Quadrate aufgeteilt, das Imperium von B y zanz darstellte, in seiner machtvollsten Ausdehnung wie wohl zu Zeiten des Imperators Justinian.
»Den kümmerlichen Rest«, sagte Nicola wehmütig, »unseres lateinischen Reiches‹, also was Bulgaren und Seldschuken noch übriggelassen haben, werden sich die Gri e chen bald zurückholen. Dann ist meine Zeit hier auch abgelaufen!«
Hamo stand auf und trat neben ihn. »Friedrich, den ihr den Westkaiser nennt, kann er Euch nicht zu Hilfe ko m men?«
Der Bischof, nicht etwa im Ornat seines Standes, so n dern in einer fließend fallenden Tunika aus leichtem we i ßem Wollgewebe, die seine zarten Gliedmaßen durc h scheinen ließ, lachte bitter. »Der Staufer muß selber um den Erhalt seiner Macht kämpfen, auf ihn können wir nicht zählen. Außerdem hat er seine Tochter Anna dem Vatatses zur Frau gegeben. Er setzt auf die Griechen. Recht hat er!«
Beide waren an die Brüstung getreten, die die Loggia vor dem Saal zum Chrysokeras, dem Goldenen Horn hin a b schloß.
Sie schauten schweigend auf die Kuppelbauten, Mauern und Türme der Stadt am Bosporus, die sich zu ihren F ü ßen ausbreitete, das Gewimmel der Schiffe im Hafen, die Boots-Brücke hinüber zur Neustadt von Galata. Wenn sie den Blick noch weiter nach rechts gewendet hätten, wäre auch das hochaufragende Ufer der asiatischen Seite zum Greifen nah gewesen. Doch Nicola wandte sich ab.
Der Kallistos-Palast lag in den Gärten, die sich bis zur Hagia Sophia, der Kathedrale der Göttlichen Weisheit, er s treckten , zwischen St. Irene und der Kirche, die dem Se r gius und dem Bacchus geweiht war. Einst für kaiserliche Prinzen gebaut, hatte ihn schon Balduins Vormund und Schwiege r vater, der alte Jean de Brienne dem römischen Bischof zur Verfügung gestellt, als dieser sich diplomatisch weigerte, den Palast des Patriarchen zu beziehen, der zu V a tatses geflohen war.
Die seelsorgerische Tätigkeit des päpstlichen Intere s senvertreters beschränkte sich auf Eheschließungen, Ta u fen und zunehmend Beerdigungen der importierten Obe r schicht römisch-katholischen Glaubens; das Volk hing we i terhin an seinen orthodoxen Popen. Es nicht zu reizen war della Portas kluges Prinzip; er besuchte auch die nahe li e genden Kirchen nur auf besondere Einladung seiner gri e chischen Amtsbrüder und widmete sich in seinem so schön gelegenen Lustschloß der Politik und gut gewachsenen griechischen Jünglingen.
Aus Wachträumen aufsteigende Erinnerung an ihre bronzenen Körper ließ Nicola wieder auf Hamo kommen, bei dem ihn der Gedanke des Inzestes weitaus mehr reizte als der spröde Knabe selbst.
»Hier im ›Mittelpunkt der Welt‹«, sagte er versonnen und legte seinen Arm wie gedankenlos um die Schulter des Jungen, »trafen sich die Prinzen zum Schach, das ihnen spielerisch Macht und Größe von Byzanz vertraut mac h te.« Er zeigte auf den Boden des Saales, von dem aus auf drei Seiten Stufen wie in einer Arena aufstiegen. »Auf den E m poren stehen
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