Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
hat. Zieht nur ins Heilige Land, und bleibt gleich dort; denn eine Rückkehr nach P a ris wird Euch nicht mehr vergönnt sein. Ihr werdet sinnlos die besten Schwerter Frankreichs gegen aufrechte Verte i diger des wahren Glaubens ins ehrliche Gefecht führen, während Euch falsche Freunde den Dolch in den Rücken stoßen werden. Ihr könnt den Untergang der C a pets nicht aufhalten, die Kinder des Gral sind in der Hand des Sta u fers. Sie sind die Zukunft!‹«
Die Feder des Mönches kratzte über das Papier. »Und wer unterschreibt?« fragte er sachlich, als er aufatmend geendet hatte.
»Niemand!« sagte die Stimme. »Anonym ist die beste Drohung, weil Paris sich keinen Reim auf das Motiv des Schreibers bilden kann!«
»Also«, sagte Matthäus beeindruckt, »ich an Ludwigs Stelle würde meinen Kreuzzug erst einmal zurückstellen, um – wenn schon nicht präventiv gegen den Staufer vorz u gehen – wenigstens Mittel und Wege zu erkunden, wie ich mir den Rücken freihalte?«
»Der Verfasser bedarf des Lobes nicht, wohl aber der Schreiber Matthäus«, sagte die Stimme kalt, und obgleich es nicht das erste Mal war, daß er dem Grauen Kardinal seine Feder geliehen hatte , lief dem Mönch ein Schauer über den Rücken. »Du b e gibst dich morgen früh nach Ostia und erwartest dort unseren Legaten Andreas von Longj u meau, den du sofort zum Heiligen Vater weiterbeförderst.«
»Ich weiß«, bestätigte Matthäus das ihm bekannte pr o cedere.
»Was du aber nicht wissen kannst, ist, daß dich jemand ansprechen wird, mit der Bitte um das passende Bibe l wort zum Tage. Dem händigst du das versiegelte Schre i ben aus; er wird dich mit einem Beutel Dukaten entlo h nen.«
»- den ich hier abliefern werde«, beeilte sich Matthäus hinzuzusetzen. »Welches Stemma soll das Siegel aufwe i sen?«
»Nimm ein altes Tatzenkreuz«, die Stimme klang kurz erheitert. »Die Templer sollen auch ihr Fett abbeko m men!«
Während der Mönch den Siegellack erhitzte, ging ein leichter kühler Luftzug durch das Documentarium; die Flamme flackerte. Irgendwo schloß sich eine Tür.
Roberto der Kettensprenger
Cortona, Winter 1246/47 (Chronik)
Ich weiß nicht, wie lange ich im Dunkeln stand, an das sich meine Augen – noch hatte ich beide! – nur mühsam g e wöhnen wollten. Von irgendwoher ganz oben im Decke n gewölbe drang das matte Licht der Nacht hinab, wie es von Wolken reflektiert wird, die der gute Mond e r hellt. Dann riß die Wolkendecke wohl, und sein milchi g kalter Strahl fiel direkt in meinen Kerker.
Es mußte sich hier um den Tiefkeller handeln, hinter der schweren Eisentür, den ich nie hatte betreten dürfen. I r gendwo hier mußte der Splitter des Wahren Kreuzes ei n gemauert liegen – zusammen mit einem gewissen Perg a ment.
Ich sah meinen Zellengenossen. Er hockte apathisch am Boden und hob jetzt erst langsam seine Stirn, die ein ei n gebran nt es, schon weiß vernarbtes Kreuz verunzierte, die Ränder noch wülstig rot. So würde ich also aussehen – nein! Mir sollte die Markierung ja aufs Auge gedrückt werden.
Mir wurde schlecht bei dem Gedanken an das rotgl ü hende Kreuz, das auf mich zustieß. Ich schrie auf, wollte die Hände schützend vors Gesicht schlagen, doch die Ke t ten an meine Gelenken rissen sie schmerzhaft zurück.
»Still!« sagte der Gefangene, und ich erkannte ihn: Es war Roberto, der Eisensprenger, der vor meinen Augen ertrunken war.
»Roberto?« flüsterte ich, weil es vielleicht doch Geister geben konnte, zumal in solchen Burgverliesen. »Bist du ’ s?«
»Nenn mich nicht beim Namen!« keuchte er. »Sie kön n ten uns belauschen, ein Loch in der Wand – ich kenn dich nicht!«
Der arme Kerl! Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, wie er in ihre Hände gefallen war, aber durchaus, was sie alles mit ihm angestellt hatten – daß er noch lebte, war schon ein Wunder, doch hatte er die Torturen offensich t lich nicht ohne Schaden an seinem schlichten Gemüt überstanden.
Wie haßte ich Vitus! Ich mußte fliehen, und dazu brauchte ich Robertos Kraft – wie es sonst auch um ihn bestellt sein mochte!
»Wie haben sie dich gefangen?« versuchte ich noch mal den Dialog aufzunehmen.
»Warum bist du zurückgekommen?« war die gestöhnte Antwort. »Jetzt wird er mir den Prozeß machen – mit dir als Zeugen. Er wird mich vierteilen lassen!«
»Hab keine Angst«, flüsterte ich, »wir werden hier schon rauskommen!«
»Oh, ja!« antwortete er bitter. »Morgen früh holen sie mich hier raus, im
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