Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
Burghof scharren vier Rosse – oh, Wi l liam, ich hab ’ Angst!«
»Ruhig, ruhig!« besänftigte ich ihn, dabei stand sie mir selbst bis zum Hals.
»Du hast gut reden«, würgte er. »Du wirst morgen früh nur ›markiert‹, das macht er mit allen –« Roberto zeigte auf die Gestalten, die im Dämmerlicht hinter anderen Gittern auf ihr Schicksal warteten. »Mir hat er das Auge nur gela s sen, damit ich nicht nur zwei statt vier Pferdeä r sche sehe, die in verschiedene Richtungen gepeitscht –«
»Hör auf!« sagte ich.
»– und damit ich selber feststellen kann, daß ein Arm eher ausreißt als ein Bein –!«
»Halt den Mund!« sagte ich wütend. »Wir fliehen heute nacht.«
»Dazu müßten wir den Kerkermeister niederschlagen!« Robertos verwirrtes Gemüt begann in der von mir g e wünschten Richtung zu arbeiten. Todesangst ist doch ein guter Bundesgenosse! »Er kommt dreimal die Nacht!«
»Beim zweiten Mal muß es sein«, bestimmte ich. »Kannst du dich bis dahin befreien – und mich dazu?«
»Meine Arm- und Beinschellen hab ’ ich schon am ersten Tag ›geweitet‹, kein gutes Eisen!« grinste Roberto, der jetzt Zuversicht gewann. »Es bleibt nur noch das Hal s band!«
Vor meinen Augen schüttelte er seine Manschetten ab und griff mit beiden Händen hinter sein Genick. Das Kreuz auf seiner Stirn schwoll an, und mit einem Kni r schen brach die Verriegelung. Roberto klappte die zwei Hälften ause i nander und rieb sich den Hals. Dann schlüpfte er aus den Fußschellen und kam zu mir rübe r gekrochen.
»Setz dich«, befahl er. Mit zwei freien Händen war das Aufbiegen meiner Fesselung für ihn ein Kinderspiel, mit dem öffentlich aufzutreten er sich geschämt hätte.
Wir legten die Eisen wieder an, damit wenigstens flüc h tiger Augenschein uns nicht verriet. Es muß Mitternacht gewesen sein, als mein alter Guiscard mit einer Laterne das erste Mal nach uns sah. Er machte sich nicht die M ü he, das Gitter aufzuschli eß en, leuchtete nur kurz in unsere Gesic h ter, machte seine Runde und verschwand wi e der.
Eigentlich widerstrebte mir der Gedanke, gegen den a l ten Freund tätlich vorgehen zu müssen, zumal ich mir gut vorstellen konnte, daß er uns helfen würde. Aber was wu ß te ich – vielleicht hatte er resigniert, wollte den Posten nicht verlieren, und dann war da ja auch noch Ge r sende, die als Pfand in der Hand des Viterbesen gebli e ben wäre. Also gut, ein kleiner Schlag auf den Hinterkopf mit der Fußkette, die Roberto mit einem Stoffetzen u m wickelte, eine kurze Ohnmacht, bis wir über alle Berge waren, das heißt auf dem Weg nach Ancona.
»Wenn er wiederkommt«, flüsterte Roberto, »dann greif ich ihn an der Gurgel, wenn er vor mir steht, und du schlägst von hinten zu, denn das bring ich nicht fertig, e i nen Menschen –«
»Roberto«, beschwor ich ihn, »ich hab ’ so etwas noch nie gemacht – ich kann das nicht, meine Hand zittert.«
»Also«, sagte Roberto, »wenn der Preis für meine Fre i heit das Leben eines anderen ist –«
»Wenn du mich zwingst, ist die Gefahr viel größer, weil ich einen Schlag nicht zu dosieren weiß –«
»Dann leg ’ ich mich morgen lieber zwischen die Pfe r de.« Roberto war wie ausgewechselt, oder wollte er mir zeigen, was ge-lebtes Christentum bedeutet? »Ich hätt ’ zwar gern noch mal meine Familie wiedergesehen, die alte Larissa – und die Kleinen –«
»Die siehst du nicht wieder«, unterbrach ich ihn trocken; ich hatte einen Kloß im Hals, aber besser jetzt raus damit als später – oder nie! »Sie sind tot, alle tot, Roberto – und mit einem Kreuz in die Stirn gebrannt!«
»Das ist nicht wahr, William! Das sagst du jetzt nur, damit ich meine Vorsätze vergesse und das tue, was du von mir verlangst!«
Ich kam nicht dazu, ihm zu antworten, denn oben an der Kellertreppe schien die Laterne unseres Kerkermeisters auf, er tappt e m it seinem Holzbein die Stufen hinunter. Er schloß unsere Gittertür auf und trat ein, Wie vereinbart en t rang sich Roberto ein Stöhnen: »Mein Hals!« Es klang sehr echt, doch Guiscard wandte sich zu mir.
»Mach keine Dummheit, William!« zischte er. »Und vor allem keinen Krach!« Er drehte den Öldocht seiner La m pe herunter. »Ich habe Euch belauscht – und mich entschlo s sen, mit Euch zu fliehen. Vor einer Seitenpforte in der Mauer stehen vier Pferde bereit. Gersende habe ich hei m lich aus dem Haus geschickt, als der Inquisitor den Wein getrunken hatte – er war immer so vorsichtig,
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