Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
dösigen Tagschlaf fast gefallen wäre. Ich dre h te mich erschreckt nach den Kindern um, aus einer töric h ten Angst heraus, sie könnten in meine Bilder von Monts é gur z u rückgeschlüpft sein, sich versteckt auf die furchtbare Gefahr zubewegen, deren Vorstellung ich mir noch au s gespart hatte, doch sie lagen hinten im Heu und wälzten sich unruhig im Schlaf. Mit der Beruhigung, daß alles nur ein böser Traum war, fiel auch ich wieder in meinen seh e rischen Zustand zurück, und – ich wollte es doch wohl s e hen, heimlich schauernd wurde ich zum erregten Ga f fer …
Um Mittag schwingen die Flügel des Haupttores weit auf, und langsam, in langer Reihe, zu zweit oder zu dritt eng aneinande rg eschmiegt, ziehen die Ketzer den steinigen Hang hinunter. Die Frauen, geführt von der schönen Es c larmonde, gehen voran. Sie haben festliches Weiß ang e legt, ihre Blicke sind gefaßt und heiter. An der Spi t ze der Männer schreitet der greise Bischof Bertran en-Marti, u m geben von den parfaits , gefolgt von den cr e dentes , für die die Aufnahme in die Gemeinschaft der Minnekirche z u sammenfällt mit ihrem leiblichen Tod. Unter ihnen waren auch etliche der Ritter und Knappen, wie auch manch ei n facher Soldat. Sie hatten in der letzten Nacht das consol a mentum genommen, um heute mit ihren Freunden deren Schicksal zu teilen.
Ein feierlicher Zug, als schwebten Engel vom Himmel herab. Licht umstrahlt sie, wie eine Glorie – ich will mich an dieser köstlichen Vision festhalten, will aus ihr aufta u chen wie aus einem tiefen, klaren Wasser, in das von oben die Sonne scheint, ich will die grausame Wir k lichkeit nicht über sie kommen lassen; denn ich, William von Roebruk, weiß, was ihnen angetan wird, meine Augen haben ihn g e sehen – le bucher, den riesigen Scheiterhaufen, fachmä n nisch im Geviert getürmt –, weniger in der stillen und s i cher auch vergeblichen Hoffnung, sein Anblick würde doch noch einen der zum Flammentod Entschlossenen reumütig in den Schoß der Alleinseligmachenden zurüc k finden lassen, als vielmehr in der lustvollen Freude, das Leid der Opfer durch solcherart Vorgeschmack der Hölle n pein verlängern zu können.
Doch beiderlei Gefallen erweisen die Katharer dem L e gaten Roms und seinem Inquisitor nicht: Sie haben mit dem irdischen Leben abgeschlossen – sie wissen, daß die Passage schmerzensreiche Passion bedeutet, das ist der Fährpreis; sie sehen nur noch das Ziel, und das liegt hi n ter diesem zu durchschreitenden Feuerbogen.
Über zweihundert Männer, Frauen, Greise und Kinder besteigen, am Hang vor dem Feldlager angekommen, si n gend den Holzstoß, dessen Strohunterfütterung sogleich entzündet wird.
Ich stelle mir den schwarzen Inquisitor vor, der – in let z ter Minute eingetroffen – seines furchtbaren Amtes wa l tet: »Bereuet!« ruft er den Kleinen zu, die an den Händen ihrer Mütter, auf ihren Armen an ihm vorbeiziehen. »Tuet B u ße!« Reißt er sie ihnen weg, um sie vor der gräßlichen Ve r letzung durch das Feuer zu retten? Nein! Er hetzt sie ge i fernd in die Glut. »Verbrennt sie alle!« schreit er, drängt und stößt. Dichter Qualm verhüllt al s bald die Gerichtsstätte und erstickt, im Verein mit der aufwabernden Lohe den Atem der zu Richtenden, oft bevor die Flammen nach ihren Leibern greifen können.
Ich lure zitternd nach den zuckend sich aufbäumenden Leibern, ich will sehen, wie die reine Schönheit der Es c larmonde verdirbt. Doch es ist mir nicht vergönnt; es g e lingt mir auch nicht, mich loszureißen, dem Feuer zu en t gehen, das flammenzüngelnd nach mir greift. Ich we r de nicht wach, obgleich die Gefahr wächst, wie eine Rauc h wolke, daß einer der Büttel des Erzbischofs in mir den Ke t zer erkennt, mich ergreift, schleift, hineinstößt in die se n gende Hitze, ich brenne, ich schreie …
Ich erwachte auf meinem Kutschbock – mein Schrei hing noch in der Luft, ich bemerkte das an dem Stirnru n zeln Sigberts, der zu meinem Karren aufgeschlossen hatte, um nach den mir anvertrauten Kindern zu sehen. Ich schämte mich. Der gräßliche Laut aus meiner erstickenden Kehle mußte sie aufgeweckt haben; sie greinten leise. Der Deutschritter warf mir einen Blick zu, der mich zur O b acht mahnen sollte, doch mein aufgerührtes Gemüt hastete z u rück zum Ort des Geschehens, um wenigstens nicht das Entsetzen auf den Gesichtern der betroffenen Z u schauer zu versäumen …
Und so schleicht sich ein dicker Franziskaner, der längst auf
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