Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
ten.
Aus dem Kamin der Hütte stieg in unregelmäßigen A b ständen noch immer der milchweiße Rauch, der wohl mein Leben gerettet hatte. Ein Signal für fremde, ferne Augen, die vom Himmel hoch den dunklen Wald von Corret be o bachteten: Munsalvätsch! Ja, ihnen dort oben galt das Ze i chen – das Zeichen der Rettung?
»Und was geschieht mit mir?« flüsterte ich aufgeregt, jedoch ohne Furcht, nur benommen. Mein Schädel! Ich kann ihn nicht einmal betasten.
»Du wirst eine Reise antreten«, lächelte Gavin und riß von meinem Hemd einen breiten Streifen ab. »Das ist noch gut und billig für einen naseweisen Mönch zur fa l schen Stund ’ am falschen Ort!«
Um uns hatten sich die faidits erhoben, die vor der Hütte lagerten, als ich dicker Esel dort aufkreuzte, den sie ke i neswegs erwarteten. Auch jetzt betrachtete mich keiner besonders liebevoll oder gar mit Mitgefühl.
Gavin verband mir die Augen. »Loba«, hörte ich ihn s a gen, »hat die Beule deiner Wißbegierde mit heidnischen Kräuter n v erarztet. Du wirst den Ritt überstehen!« Ich wurde auf ein Pferd gehoben, die Fesseln wurden gelöst.
»Füge zur Neugier, Minorit«, knurrte eine Stimme mit typisch alemannischem Akzent, wohl die des Älteren, »nicht die Dummheit falschen Heldentums hinzu, sonst …«
»- sonst hat sein Orden einen Märtyrer mehr!« mischte sich der Jüngere ein, der mir nach dem Leben trachtete, und das, schien es, immer noch. »Nur daß Fettwänste se l ten kanonisiert werden!« Sein Organ war guttural, wie ich es nur von Mauren und Juden kannte, es ging unter im G e lächter der faidits.
»Er wird nicht fliehen«, beschwichtigte mein Templer und gab dem Gaul, der mich tragen mußte, einen Schlag auf die Kruppe. »Leb wohl, Bruder William! Wenn du nicht in den Himmel kommen solltest, werden wir uns wiedersehen! Vive Dieu Saint-Amour!«
Le trou des tiplies
Okzitanien, Frühjahr 1244 (Chronik)
Wir ritten durch die Nacht, Wege, auf denen uns ansche i nend nur wenige begegneten. Meine Augenbinde war leicht verrutscht, so daß ich rechts und links neben mir Stiefel in den Steigbügeln wahrnehmen konnte, in denen kurze St i letts steckten, was meine Hände schön ruhig die Zügel ha l ten ließ – der Morgen graute, ich sah den Wal d boden unter den Hufen der Pferde. Da keiner mit mir sprach, hatte ich Zeit, meine Gedanken zu ordnen, in A n betracht der Lage, in die ich mich selbst gebracht, gar kein leichtes Unterfa n gen. Angst verspürte ich nicht: Hätten sie mich töten wo l len – als unbequemen Mitwisser –, hätten sie es gleich tun müssen, was dieser leicht erregbare Wü s tenfalke ja auch versucht hatte. Jetzt konnte nur ein unb e dachter Schritt von mir dazu noch Anlaß bieten – oder ein unvorhersehbares Ereignis, das si e i n Panik versetzen könnte. Vor ersterem wollt ’ ich mich gern hüten, der Rest lag in den Händen der seligen Gottesmutter.
»Ave Maria, gratia plena …« , betete ich leise vor mich hin. Was hatte ich auch bei diesem »letzten Kreuzzug g e gen den ketzerischen Montségur« verloren? Hatte nicht der heilige Franz uns Brüder immer wieder eindringlich e r mahnt, uns kein »Wissen« verschaffen zu wollen, so n dern nur Gottes Wort zu leben und zu verkünden? Recht g e schah mir aufgeblasener »Geistesgröße«, Schimpf und Schande dem pflichtvergessenen Diener der Armut, einer Armut, die der »Herr« William von Roebruk verachtete. Lächerlicher Schwärmer, der sich erdreistete, in wilden fernen Ländern nicht etwa schlicht das Evangelium zu pr e digen, sondern seine eigenen klugen »Erkenntnisse« zu verbreiten! Doch in meinem Innersten war ich froh, diese Träume eines aufgeklärten Missionars einer besseren, sprich abendländischen Welt an warmen Kaminen der Hauptstadt zu träumen, bei einem guten Glase köstl i chen Burgunders zu »philosophieren«, nach einem fetten Mahle in der königlichen Küche, wo mir das Gesinde ehrfürchtig lauschte und gern feine Bratenstücke, Überfluß der alle r höchsten Tafel, aufhob – für den armen Bruder vom »O r den der ewig Hungrigen von Assisi«. Doch nun hatte sich der Spieß gewendet, hatte mich au f gespießt und statt unter den warmen Röcken der Köchinnen des Louvre bequem durchgefüttert zu werden, hing ich mit knurrendem Magen und stechendem Schädelweh im Sattel und sah nicht ei n mal, wohin mich das Schicksal trug.
Plötzlich griff jemand mir in die Zügel und brachte mit fester Hand mein Pferd zum Stand, auch die anderen um mich
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