Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
Erscheinung. Er sprach mit den Maurern und Bergleuten. Sie waren Deutsche aus dem Bergischen Land. Ich hütete mich, zu erkennen zu geben, daß ich ihr Idiom gut verstand. Die Arbeiter wirkten wortkarg, ja, so schien mir, eingeschüchtert.
»Die Grube hat keinen Namen«, antwortete ein Zi m mermannsgeselle, »Wir sagen dazu: ›trou ’ des tipli ’ es‹.« Das sollte wohl ›Loch der Templer‹ heißen. »Wir sind nicht weit von einem Dorf namens Bugarach, doch dürfen wir dort nicht hin –«
»– und was –?«
»An die Arbeit!« erscholl ein Kommandoruf von oben, und die Leute entfernten sich schnell, bevor Sigbert sie weiter aushorchen konnte.
Konstanz kehrte mit Crean und den beiden Bündeln z u rück, die wie unnatürlich große Steckkissen wirkten. Ta t sächlich wickelten sie daraus zwei Kinder, längst dem Säuglingsalter entwachsen. Sie mochten vier oder fünf Ja h re alt sein, ein Junge und ein Mädchen, sie blond und er dunkelhaarig.
Aus dem Festungstor schritt Guillem de Gisors, jener knabenhafte Tempelritter, den ich im Gefolge der ›Gra n de Maitresse‹ und bei jenem seltsamen Ritual nachts im Wa l de gesehen hatte. Er würdigte mich keines Blickes, sein Auge war zärtlich auf die Kinder gerichtet. Sie wirkten immer noch benommen von einem Betäubungstrank, den man ihnen eingegeben hatte, oder sie waren starr vor E r schöpfung. Sie taten mir leid. Ich hätte gern gewußt, wie sie geheißen wurden. Getauft waren sie sicher nicht!
Le Bucher
Camp des Cremats, Frühjahr 1244 (Chr o nik)
Wir brachen wieder auf, noch bevor der Morgen graute. Die Augen wurden mir nicht mehr verbunden. Crean de Bourivan, der sich im Lande auskannte, ritt vorweg, dann kamen die faidits. Sie umgaben den mit einer Plane g e deckten Karren, auf dem ich saß und in dem hinten die Kinder im Heu schliefen. Der Deutsche Sigbert und der mir etwas suspekte Konstanz bildeten die Nachhut.
Wir bewegten uns rasch vorwärts, gen Südosten auf Wegen, die abseits von den großen Straßen und Städten lagen. Wenn wir rasteten, dann bei Freunden, die nicht fragten und uns oft einen Teil des Weges begleiteten, bis sie uns in die Obhut anderer übergeben konnten. Es mü s sen geheime Erkennungszeichen gewesen sein, denn nie hörte ich jemanden eine Frage stellen, noch daß der Bo u rivan sich je ausweisen mußte. So schweiften meine Gedanken nicht in die ferne – oder nahe Zukunft, ich nahm mein Schicksal gleichmütig, insha ’ allah ; ja, insgeheim war ich beglückt, an einer so streng geheimen Mission teilzuhaben, wie sie ansonsten nur edlen Rittern zufällt.
Ich drehte mich oft um nach den schlafenden Kindern und dachte an den Montségur. Ich weiß heute nicht mehr, wie viele meiner Bilder sich mit dem vermischt haben, was mir später über das Ende erzählt wurde. Mich hatten Kräfte aus dem Feld gerissen, die so stark waren, daß sie sich vo r her ankündigen konnten; sie hatten mich in ein Spiel g e worfen, das mich fiebern ließ. Fieberträumen glichen me i ne Visionen, die mich auf dem Kutschbock überfielen und bei hellichtem Tage in einen Zustand der Lähmung verset z ten, aus dem ich einige Male schweißgebadet hochschrec k te, um jedoch sofort wieder von i h nen eingeholt zu werden. Visionen vom Montségur …
Zur frühen Morgenstunde öffnet sich eine kleine Au s fallpforte, die vorher niemand gesehen hatte. Die verei n barte Übergabefrist ist abgelaufen. Heraus treten der junge Graf Pierre-Roger de Mirepoix, gefolgt von seiner Frau, seinem Bruder und dem Kastellan, Ramon de Perelha. Sie werden begleitet von den meisten ihrer Ritter, die den Montségur und all jene, die auf ihm Zuflucht suchten, so gut und ausdauernd verteidigt hatten. Dank Gavin kenne ich sie alle beim Namen und obgleich ich sie nie in meinem Leben gesehen habe, fällt es mir, dem spalierstehe n den Zuschauer, ganz leicht, Figuren und Titel einander z u zuordnen. Es ist wie ein Aufzug zu einem festlichen Tu r nier, ich sehe ihre stolz gereckten Fahnen. Sie führen Hab und Gut mit sich, ihre Pferde und ihre Rüstung, wie auch Sergeanten und Hilfstruppen. Selbst landesweit g e suchte faidits läßt der Seneschall ziehen. Doch allen ist auferlegt, zuvor das Schauspiel, das sich der Herr Erzbischof erso n nen, mit anzusehen.
Wie unter einem Zwang folge ich dem Geschehen; ich will nicht Zeuge sein von dem, was sich nun ergeben muß. Ich wehre mich … und fand mich, mit den Händen um mich schlagend, auf dem Bock des Karrens wieder, von dem ich im
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