Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
herum verharrten. Nur noch ein leises Schnauben der Tiere war zu vernehmen und der heftig gehende Atem der Reiter. In die Stille hinein hörte ich deutlich Hufgetrappel. Es drang aus dem Tal zu uns herauf.
»Schwarze Pest!« zischte leise mein Bewacher neben mir.
»Die Raben flattern zur Richtstätte – sie müssen sich sputen«, flüsterte ein anderer, »sonst sind die Seelen schon davongeflogen!«
Hufschlag und Eisenklirren entfernten sich. »Der Herr Inquisitor«, knurrte die Stimme des Deutschen, der uns befehligte, »bemüht sich in blinder Hast! Was er sucht –« , lachte er polternd, sich und sein Gefolge von der Spannung befreiend, »- führen wir vor der Nase ihm davon! Auf, Mannen!« Und unser Zug setzte sich wieder in Trab.
Wir ritten scharf den ganzen Tag und die halbe Nacht, immer durch dunkle Wälder, auf Pfaden, wo uns nur wen i ge begegneten, die uns schweigend Platz machten, o h ne daß wir sie anrufen mußten. Endlich schienen wir auf einer Burg eingetroffen zu sein, ich erkannte es am Hu f schlag auf gepflastertem Weg und der Dunkelheit eines Torb o gens.
Die Pferde hielten, eine mir unbekannte Stimme sagte: »Danke, Brüder – ich konnte nicht mit Euch reiten, ich w ä re dort oben geblieben und hätte ihr Schicksal teilen wo l len!«
»Insha ’ allah! Dagegen sind wir gefeit«, ließ sich l a chend der Jüngere meiner Begleiter vernehmen: »Sigbert von Öxfeld steht fest im Credo seines deutschen Ordens, und ich …«
Er führte seine Worte nicht mehr weiter aus, denn nun lachten alle.
Man half mir vom Pferd und nahm mir die Binde ab. Wir befanden uns in einem düsteren Burghof, der wie eine von hektischer Betriebsamkeit beherrschte Baustelle wir k te. Gewaltige Balkenkonstruktionen sah ich im Fa c kellicht, hölzerne Türme, in denen sich Räder drehten, Seile mit Kübeln liefen, die in der Tiefe verschwanden, wenn sie nicht mit Gestein beladen nach oben gezogen wurden.
»Crean de Bourivan«, stellte sich der Ritter vor, der uns hier erwartet hatte. Er war nicht alt, doch sein von Na r ben zerfurchtes Gesicht, sein früh ergrautes Haar zeigten mir, daß er viel vo n d er Welt erfahren hatte, viel Leid vor allem. Seine grauen Augen waren voll tiefer Trauer und Müdi g keit am Leben, auch wenn er mich jetzt wach m u sterte.
»Ein Spatz aus Assisi!« ließ sich der jüngere Ritter ve r nehmen, der mich wie ein Falke nicht aus dem Auge ließ. »Er geriet uns zwischen die Hufe, als die exzellenten R o ßäpfel grad warm dampfend herabfielen, und der Montbard hieß uns ihn auflesen und mit uns führen, statt ihm sein Spatzenhirn …«
»Der Präzeptor bürgt für ihn«, mischte sich der Ältere grum-melnd ein, der sich mehr für den Sinn dieses befe s tigten Bergwerks interessierte als für meine Person.
»Schlauer Templer!« verkündete unser neuer Anführer. »Mit einem echten Minoriten reist es sich leichter durchs Land! Doch Euch, lieber Konstanz von Selinunt«, fügte er leicht hinzu, »darf ich bitten, nicht gerade Pferdemist als Umschreibung für das höchste Gut zu verwenden!«
Der so Gerügte verbeugte sich, Hand aufs Herz, zur En t schuldigung. Crean schnitt mir die Fesseln durch und ließ mir zu essen geben.
»Dein Leben, William, hängt von deiner Einsicht ab.« Ich stürzte mich mit Heißhunger auf das karge Mahl. »Ve r rätst du uns, fährst du zur Hölle – ansonsten lass ’ ich dich frei, sobald wir in Sicherheit sind!«
Er erwartete keine Antwort, ich nickte ergeben mit vo l lem Mund und schaute mich verstohlen um. Hier wurde in der Tiefe des Berges unter dem Schutz der hohen Mauern sicher nach Erz oder noch edlerem Metall gegr a ben, denn bewaffnete Tempelritter bewachten die Arbe i ter im Innern des Gevierts, wie sie auch oben auf dessen Zinnen nach außen in den dunklen Wald spähten. Waren sie auf eine Goldmine gestoßen? Ich sah keinerlei Anlage zum W a schen des geförderten Gerölls, noch schien sich sonst j e mand darum zu kümmern, außer daß die Bauleute die brauchbaren Steine verwendeten, um die eingerüsteten Wäll e u nd Bastionen zu verstärken, sie noch höher zu zi e hen. Schon jetzt waren die Wachen oben auf den Maue r kronen im flackernden Licht der Sturmlaternen kaum noch auszumachen.
Außer mir nahm nur der ältere Ritter Notiz von den A r beiten. Ich hatte ihn richtig als Teutonen eingeschätzt, er nannte sich ›Sigbert‹ und war wohl vom ›Orden der Deu t schen Schwertbrüden, hier im Lande der langue d ’ oc eine höchst rare
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