Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
»wenns auch morgen nicht an Schaf und Esel gebrechen wird!«
»Ich bin hier nur als Beobachter«, schränkte der Bretone vorsichtig ein. »Eine offizielle Stellung zu beziehen ist S a che des Grafen von Joinville.«
»Der wird sich hüten«, gab Gavin zu bedenken, »so la u tet auch nicht sein Auftrag!«
»Ihr werdet nicht unterschätzt, Präzeptor«, sagte Yves, »doch sind die Templer an Eide gebunden, die Zweifel an ihrer Haltung nicht zulassen – oder will sich der Orden dem Verdacht aussetzen, er halte seine Hand über die Ki n der?«
Gavin trat einen Schritt auf sein Gegenüber zu. »Was wißt Ihr von dem Eid der Templer?«
»Ich bin nur von niederer Geburt«, wich Yves zurück, »vergebt dem König, daß er mich in den Stand erhob, so mit Euch zu sprechen ! «
»Das kann kein König!« antwortete Gavin, und seine Hand zuckte zum Schwert.
»Verzeiht«, sagte Yves rechtzeitig, »daß ich meiner l o sen Zunge freien Lauf ließ für dumme Gedanken.«
»Eines Tages wird man sie Euch abschneiden!« knurrte der Templer. »Die Ehre des Ordens kann sie nicht tre f fen! Und wem wolltet ihr Messianismus unterstellen mit Eurer Weihnachtsgeschichte?«
Yves ging dankbar auf die Wendung des Templers ein. »Die Idee – und das Warten auf das Erscheinen – eines Weltenheilers reicht weit vor die Geburt Christi zurück; schon die Essener –«
»Wenn Euch schon von den Offenbarungen des Melch i sedek bekannt ist, was mich erstaunt, warum tatet Ihr dann das ang ek ündigte Auftreten von Kindern als Friedenskön i ge so ironisch ab? Mysterien kann man nur ohne Vorurteil gegenübertreten - oder man halte sich fern!«
»Ach«, sagte Yves, »die Zeit der Wunder ist vorbei, u n sere Welt wird längst von anderen Mächten regiert.«
»Und woraus beziehen diese Mächte ihr Charisma, wenn nicht aus dem Mysterium des Blutes?«
»Geld, Gold, Handel«, hielt Yves trocken dagegen, »Ihr solltet das ja wissen!«
»Ihr solltet mit Eurer Zunge kämpfen, wie Jakob mit dem Engel!« drohte Gavin.
»Jakob träumte von Engeln, die eine Leiter zum Himmel hinauf- und herabstiegen. Ich sehe sie bald allesamt in we i ßen Gewändern mit dem roten Tatzenkreuz!«
Das Bild stimmte nun den Templer wieder heiter. »Ihr solltet Euch an den Eremiten ein Beispiel nehmen. Sie e r langen ihre stärksten Visionen nicht nur durch Fasten, so n dern auch durch eine intensive Schweigezeit. Das könnte Euer Leben verlängern –«
»Oder mich in Ekstase treiben, den Ri ’ fais gleich …«
»Ich sehe, Ihr kennt Euch auch in islamischer Mystik aus«, lächelte Gavin milde. »Dann solltet Ihr doch einen Sinn haben für die Botschaft der Apokryphen, die, ob nun frühchristlich-gnostischen, jüdisch-essenischen, suf i schen oder fernöstlichen Ursprungs, allumfassend eines gemei n sam haben –«
»Die Möglichkeit eines weltlichen Friedenskönigtums?
- Nie!«
»Den Wunsch nach Versöhnung –«
»Nein und abermals Nein!«
»- Versöhnung mit uns selbst!« brachte Gavin seinen Satz geduldig zu Ende.
Yves sah ihn an. »Das laß ich gelten«, sagte er nach la n gem Nachdenken.
»Dafür könnten die Kinder als Symbol dastehen«, boh r te der Templer, aber ohne Erfolg.
»Scharlatanerie«, schimpfte der Bretone, »die es zu b e kämpfen gilt. Mein König Ludwig kann niemals –«
»Bekämpft Euch selbst, Yves«, sagte der Templer schroff, »oder Ihr werdet unversöhnt zur Hölle fahren!« Er drehte dem Breto-nen den Rücken zu.
»Vorher sehen wir uns erst mal morgen mittag wieder!« rief der ihm nach, und Gavin war sich unklar, ob das Hohn, Kampfansage oder ein ungelenker Versuch war, einen Waffenstillstand vorzuschlagen.
»Geht zum Teufel!« murmelte der Präzeptor, als er durch das eiserne Tor den Friedhof verließ. Er hätte sich mit ihm schlagen sollen, statt zu reden! Yves der Bretone war eben kein Ritter! Aber leider ein ernst zu nehmender Gegner. Er ärgerte sich über sich und den Ort, der ihm jetzt verleidet war.
Im hoch über der Hagia Sophia und dem Friedhof der A n geloi gelegenen Kallistos-Palast konnte Nicola della Porta keinen Schlaf finden. Er wanderte durch die Ha l len, begab sich in seine Schatzkammer, zählte fahrig die Kisten, in denen die am leichtesten wegzuschaffenden Kleinodien ruhten, sein ›Notproviant‹, wie er ihn scher z haft nannte; nur war ihm nicht nach Scherzen zumute. Er stieg in die Küche, in der Hoffnung, Yarzinth dort vorz u finden, der ihm ein paar Eier in die Pfanne schlagen könnte, mit Milch
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