Gralszauber
Dulac leise. Er versuchte
sich aus Dagdas Griff zu befreien, aber der alte Mann
entwickelte erstaunliche Kräfte. »Ich bringe Euch hier
heraus. Ihr erfriert ja.«
»Zu spät«, flüsterte Dagda. Er schüttelte schwach den
Kopf. Auf dem gefrorenen Kissen hörte es sich an, als
scharrten Fingernägel über Glas. »Lancelot, hör mir …
zu«, hauchte er. »Du darfst nicht …«
»Was darf ich nicht?«, fragte Dulac, als Dagda nicht
weitersprach. Er war nicht mehr sicher, dass er noch eine
Antwort bekommen würde. Obwohl Dagdas Finger sein
Handgelenk noch immer mit der Kraft eines Schraubstokkes umklammerten, konnte er doch spüren, wie da eine
andere, viel gewaltigere Kraft tief in ihm zu erlöschen
begann, lautlos und mit erschreckender Endgültigkeit.
»Dagda, stirb nicht!«, murmelte er.
»Lancelot«, stöhnte Dagda. »Mordred hat … die … die
Rüstung … Avalon … du darfst … auf keinen Fall …«
Und damit starb er. Es geschah seltsam undramatisch.
Die erlöschende Kraft, die Dulac gespürt hatte, war von
einem Moment auf den anderen gar nicht mehr da und
auch Dagdas Augen waren nun nicht mehr als gesprungene Kugeln aus bemaltem Eis.
»Nein«, flüsterte Dulac. »Dagda, nein, du … du darfst
nicht …«
Seine Stimme versagte, aber nicht allein weil ihm der
Schmerz die Kehle zuschnürte. Es war so kalt hier drinnen, dass die Luft in seinen Lungen zu gefrieren schien,
und als er auf seine Hände hinabsah, stellte er fest, dass
auch sie bereits von einer dünnen glitzernden Raureifschicht bedeckt war, ebenso wie seine Kleider. Er musste
schnellstens hier raus, wenn er nicht Gefahr laufen wollte,
zu erfrieren.
Es kostete ihn erstaunliche Kraft, Dagdas Finger von
seinem Handgelenk zu lösen und den Arm des alten Mannes auf das hart gefrorene Bett sinken zu lassen, und trotz
allem blieb er noch einige Sekunden um Dagdas Lider zu
schließen. Erst dann wandte er sich um und lief aus dem
Raum, so schnell er konnte.
Noch immer vor Kälte und Schmerz am ganzen Leib zitternd erreichte er den Hof und sah sich aus tränenerfüllten
Augen um. Auch wenn es ihm viel, viel länger vorgekommen war, so war er doch nur wenige Minuten unten
im Keller gewesen und es hatte sich nur sehr wenig verändert.
Die meisten Feuer brannten noch und Dutzende von
Männern eilten hin und her, schleppten Wassereimer oder
Decken oder versuchten gar das Feuer auseinander zu reißen um ihm die Nahrung zu entziehen.
Dulac rührte keinen Finger um ihnen zu helfen. Er weigerte sich noch immer zu begreifen, dass Dagda tot sein
sollte. Solange er lebte und sich erinnern konnte, hatte er
Dagda gekannt. Es war buchstäblich kein Tag vergangen,
an dem sie sich nicht gesehen hatten. Dagda war beinahe
so etwas wie ein Vater für ihn gewesen und in gewisser
Hinsicht vielleicht sogar mehr. Dass er tot war, war bitter
genug, aber der Tod gehörte nun einmal zum Leben dazu
und Dulac hätte es vielleicht noch ertragen, wäre er auf
natürliche Weise gegangen. Aber dieser Mord, noch dazu
durch das Wirken schwarzer Magie, war mehr, als er ertragen konnte. Jemand würde für diesen Tod bezahlen.
Morgaine le Faye, die Hexe. Auch wenn er noch nicht
einmal wusste, wer sie war.
Doch das Allerschlimmste sollte ihm noch bevorstehen.
Dulac drehte sich um und wollte gehen, als er bemerkte,
dass sich der vermeintlich tote Ritter vor der Freitreppe
bewegte. Erschrocken eilte er zu ihm, ließ sich neben ihm
auf die Knie fallen und drehte die Gestalt in der schweren
Rüstung unter Aufbietung aller Kräfte auf den Rücken.
Das Helmvisier des Ritters stand offen. Das Gesicht dahinter war blutverschmiert, aber Dulac erkannte es trotzdem sofort. Es war Sir Caldridge, einer der älteren und ein
sehr erfahrener Tafelritter. Am Ende hatte es ihm nichts
genutzt. Ein einziger Blick in Caldridges Augen zeigte
Dulac, dass er sterben würde.
»Dulac«, murmelte Caldridge. »Du bist zurück. Wo ist
Artus?«
»Ich bin vorausgeritten um euch zu warnen, aber ich
kam zu spät«, antwortete Dulac. »Was ist hier passiert?«
»Eine Falle«, antwortete Caldridge im Flüsterton. »Die
Pikten. Es war nur eine Falle, um Artus und die anderen
… von hier fortzulocken. Sie kamen … zwei Stunden
nachdem ihr weggeritten seid. Hunderte. Ein ganzes Heer.
Wir haben die Tore geschlossen, weil wir dachten, sie
wollten die Burg angreifen, aber sie … sie haben die Stadt
angegriffen. Es waren keine Soldaten in Camelot. Nur
Frauen und Kinder. Sie haben
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