Gralszauber
dem unsicheren tanzenden
Licht, erschien es ihm vollkommen unmöglich. Sie konnte
zwanzig sein, ebenso gut aber auch vierzig oder vierhundert. Ihren makellosen, sehr schönen Zügen haftete etwas
Zeitloses an.
»Trotzdem ist es besser, zu warten, bis Merlins Zauber
ganz erloschen ist«, fuhr sie fort, während sie sich langsam auf Mordred und damit auch auf Lancelot zu bewegte.
Wie Mordred war sie ganz in Schwarz gekleidet, aber
während er Mantel und Rüstung eines Kriegers trug, hatte
sie das prachtvolle Kleid einer Königin an. »Und wir sollten auch dafür Sorge tragen, dass er keinen anderen Weg
findet, sie sich zunutze zu machen.«
»Du überschätzt ihn, Mutter«, sagte Mordred abfällig.
»Das war schon immer dein größter Fehler.«
Mutter?, dachte Lancelot überrascht. Diese Frau war
Mordreds Mutter? Es fiel ihm schwer, das zu glauben. Sie
sah trotz allem eindeutig jünger aus als Mordred.
»Keineswegs, Mordred«, antwortete sie ernst. »Es ist
schon immer dein Fehler gewesen, deine Gegner zu unterschätzen. Du fühlst dich unbesiegbar und du bist es auch
fast, aber eben nur fast. Dieser kleine Unterschied könnte
dich eines Tages das Leben kosten, vergiss das nie. Ich
habe gehört, du hattest Streit mit Calvis? Du sollst gedroht
haben, ihm die Kehle herauszureißen.«
»Ich hätte es besser getan«, grollte Mordred. »Dieser
Hund hat dich eine Hexe genannt!«
Lancelot fuhr so heftig zusammen, dass er um ein Haar
ein verräterisches Geräusch gemacht hätte. Jetzt wusste er,
wer diese Frau war: Morgaine le Faye. Die Frau, die Dagda getötet hatte. Seine Hand senkte sich auf das Schwert,
ohne dass er imstande war die Bewegung zurückzuhalten.
»Aber das bin ich doch auch.« Morgaine lachte. »Du
solltest dein Temperament ein wenig zügeln, Mordred.
Immerhin ist Calvis einer der drei Führer des piktischen
Heeres. Und noch brauchen wir es.«
»Das gibt ihm nicht das Recht, so über dich zu sprechen«, widersprach Mordred gereizt. Dann machte er eine
wegwerfende Geste. »Außerdem spielt es keine Rolle. Er
ist tot. Artus hat ihn erschlagen.«
»Nein«, widersprach Morgaine. »Das hat er nicht.«
Mordred blinzelte. »Nein?«
»Er hat ihn übel zugerichtet, das ist wahr«, sagte Morgaine. »Aber er lebt. Artus hätte sich besser davon überzeugt, dass er auch wirklich tot ist. Mir scheint, er wird
allmählich nachlässig. Ich habe dafür gesorgt, dass Calvis
nach Hause gebracht und gut gepflegt wird. Möglich, dass
wir ihn noch brauchen. Jeder Mann, der Artus hasst, ist ein
Mann auf unserer Seite.«
»Ich verstehe dich nicht!«, sagte Mordred. Er begann
unruhig auf und ab zu gehen, wobei er sich immer wieder
mit der rechten Faust gegen den in Eisen gehüllten Oberschenkel schlug. »Wozu warten? Artus hat kein Heer, nur
eine Hand voll Ritter, und wir haben Tausende von Kriegern! Warum stürmen wir Camelot nicht einfach und
nehmen uns, was uns rechtmäßig zusteht?«
»Um über eine Ruine zu herrschen?« Morgaine schüttelte heftig den Kopf. Mitten in der Bewegung stockte sie
und sah so direkt in Lancelots Richtung, dass er schon
befürchtete, sie hätte ihn entdeckt, aber dann wandte sie
sich wieder an Mordred und fuhr fort: »Du wirst deinen
Kampf bekommen und den Platz an Artus’ Tafel, der dir
zusteht, aber du musst Geduld haben!«
»Geduld! Wie lange noch? Wie viele Jahre soll ich noch
darauf warten, ihn für das zu bestrafen, was er dir angetan
hat?«
Morgaine lachte leise. »Du bist ein schlechter Schauspieler, Mordred«, sagte sie. »Du willst Camelot. Du willst
den Thron und du willst Artus’ Tod, weil du niemals über
Camelot herrschen kannst, solange er oder einer seiner
Ritter noch am Leben sind. Was er mir angetan hat oder
auch nicht, interessiert dich doch gar nicht.«
Mordred wollte widersprechen, doch Morgaine hob die
Hand und schnitt ihm mit einer herrischen Bewegung das
Wort ab. »Das ist in Ordnung. Du bist böse und egoistisch
und du würdest keine Sekunde zögern, auch mich zu töten,
wenn ich dir im Wege wäre. Leugne es nicht. Du bist genau so, wie ich dich gemacht habe. Und vergiss bitte eines
nie: Dasselbe gilt auch für mich.«
»Ich verstehe«, sagte Mordred düster. Der Ton, in dem
er sprach, enthielt eine schlimmere Drohung, als alle Worte es gekonnt hätten.
»Das hoffe ich«, antwortete Morgaine lächelnd. »Doch
bevor wir weiter darüber streiten, wer von uns die schwärzere Seele hat, sollten wir uns erst einmal darauf
Weitere Kostenlose Bücher