Gralszauber
unbeschreiblich schön sie war. Etwas sehr Warmes, Vertrautes ging von ihr aus und in ihren Augen lag
eine Verlockung, der er sich mit jeder Sekunde weniger zu
entziehen vermochte. Er vergaß alles andere. Es gab nur
noch sie, ihr wunderschönes Gesicht und ihre Augen, in
denen ein Versprechen auf unvorstellbare Freuden lag, die
Frau, die –
Dagda getötet hatte.
Die Hexe, die für die Verheerung Camelots verantwortlich war, die Artus den Tod geschworen hatte und auf deren Befehl hin Gwinneth entfuhrt worden war.
Es war nicht Lancelot, der diesen Gedanken dachte,
sondern Dulac, der irgendwo tief in ihm immer noch existierte und ihm eine verzweifelte Warnung zuschrie. Und
so dünn und kraftlos seine Stimme auch war, sie durchbrach den Zauber, den Morgaine gewoben hatte.
Etwas in Morgaines Augen erlosch, als sie spürte, dass
ihre Bemühungen gescheitert waren, und Lancelot fuhr
mit einem Schrei herum und stürzte aus der Tür.
»Wir sehen uns wieder, mein Freund!«, rief ihm Morgaine le Faye nach. »Schon bald! Und dann werde ich alle
deine Fragen beantworten!«
Lancelot wirbelte endgültig herum und rannte davon, so
schnell er konnte.
Erst nachdem er die Festung schon lange hinter sich gelassen hatte, kamen seine Gedanken wieder ein wenig zur
Ruhe. Er erinnerte sich kaum, wie er Malagon verlassen
und sein wartendes Pferd erreicht hatte. Wie von Furien
gehetzt war er die Treppe hinauf- und durch die finsteren
Korridore und Gänge gerannt, ohne inne zu halten oder
auch nur einen Blick hinter sich zu werfen. Ein paar verschwommene Bildsplitter in seinem Kopf wollten ihm
erzählen, dass er einem weiteren piktischen Krieger begegnet war, den er einfach über den Haufen gerannt hatte,
ohne auch nur langsamer zu werden, aber er war nicht
sicher, ob es wirklich geschehen oder bloße Einbildung
war.
Hinter seiner Stirn lieferten sich die unterschiedlichsten
Gefühle einen wütenden Kampf. Er war in Panik. Die
Worte der Hexe hatten ihn mit einem Entsetzen erfüllt, das
er kaum in Worte zu fassen vermochte, und da war etwas
in ihren Augen gewesen, was einen Teil seiner Seele
schier zu Eis erstarren ließ.
Und doch war das Schlimmste seine eigene Reaktion
gewesen.
Erst im Nachhinein war Lancelot klar geworden, wie
nahe er daran gewesen war, der Verlockung der Hexe zu
erliegen. Einer von uns. Er hörte die Worte Morgaine le
Fayes immer und immer wieder. Einer von uns. Du bist
einer von uns. Und auch wenn er nicht verstand, was sie
damit gemeint hatte, erfüllten ihn diese Worte mit schierem Entsetzen. Vielleicht weil er spürte, dass etwas Wahres daran war. Das Gefühl des Vertrauten, das er in Morgaines Nähe empfunden hatte, war nicht eingebildet gewesen und es war wohl das, was ihn am meisten erschreckt
hatte: Die bloße Vorstellung, er könnte – und sei es nur zu
einem kleinen Teil – so sein wie Mordred oder gar die
Hexe, war fast mehr, als er ertragen konnte.
Lancelot versuchte sich einzureden, dass es vielleicht
nur die Rüstung war, die Morgaine gesehen hatte. Ganz
zweifellos war sie kein Menschenwerk und vielleicht hatte
sie nur die Rüstung gesehen und nicht den, der darin
steckte.
Der Gedanke trieb ein bitteres Lächeln auf seine Lippen.
Ausgerechnet er, der sich stets geweigert hatte, an die
Existenz von Göttern und Dämonen zu glauben, dachte
nun so etwas ?
Er rief sich mit Gewalt zur Ordnung, ließ sein Pferd etwas langsamer traben und schließlich anhalten und richtete sich im Sattel auf um sich umzusehen. Es war mittlerweile hell geworden. Die Sonne hatte noch keine wirkliche Kraft, aber ihr Licht reichte aus, die Welt dem farbenverzehrenden Griff der Nacht zu entreißen.
Und Lancelot klarzumachen, dass er keine Ahnung hatte, wo er war.
Links von ihm befand sich ein schmales Waldstück,
nicht allzu hoch, aber so unpassierbar und finster wie jeder
Wald in diesem Teil des Landes. Zur Rechten erstreckte
sich flaches, ganz sanft gewelltes Grasland, das aber mehr
zu erahnen als wirklich zu erkennen war, denn über dem
Boden lag noch grauer Nebel, der nicht nur alles mit seiner Feuchtigkeit durchtränkte, sondern dem Moment auch
etwas sonderbar Mystisches verlieh. Andere – selbst Dulac
noch vor wenigen Tagen – hätten das Gefühl vielleicht als unheimlich bezeichnet, aber ihm erschien es auf sonderbare Weise … vertraut. Hätte er nicht gewusst, dass es vollkommen unmöglich war, hätte er gesagt, dass er sich zu
Hause fühlte …
Und was, dachte er schaudernd,
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