Gralszauber
Tander prallte überrascht um einen halben Schritt zurück und starrte seine
rechte Hand an. An seinen Fingern klebte Blut.
Sein Sohn erfasste die Lage schneller als er. »Du bist ja
verletzt!«, sagte er erschrocken. Er ließ sich neben Dulac
auf ein Knie herabsinken, zog dessen blutgetränktes Hemd
auseinander und ließ einen erschrockenen Laut hören.
»Das sieht schlimm aus«, sagte er. »Was ist passiert?«
»Die Pikten«, antwortete Dulac. Er hatte sich die Geschichte auf dem Weg hierher zurechtgelegt. Sie war sehr
simpel, kam ihm aber gerade deshalb sehr überzeugend
vor. »Ich bin aus dem Tor gelaufen und nach Norden.«
»Um dieses Malagon zu suchen«, sagte Tander hämisch.
»Hast du es gefunden?«
Dulac ignorierte die Frage. »Im Wald habe ich angehalten um mich zu orientieren. Es waren zwei. Sie waren im
Gebüsch versteckt. Als ich sie gesehen habe, bin ich weggelaufen. Ich war schneller als sie, aber als sie merkten,
dass sie mich nicht einholen konnten, haben sie auf mich
geschossen.«
»Blödsinn!«, sagte Tander. »Wahrscheinlich hat er sich
diese Verletzung aus lauter Ungeschick selbst zugefügt
und jetzt erzählt er diese verrückte Geschichte um unser
Mitleid zu erheischen.«
»Diese Verletzung stammt von einem Pfeil«, widersprach Wander. Er legte die flache Hand auf Dulacs Stirn.
»Er hat Fieber. Wir müssen ihn ins Bett bringen und ihm
kalte Wadenwickel anlegen. Und er braucht eine warme
Suppe.«
»Das ist nicht nötig«, widersprach Dulac. »Lasst mich
einfach schlafen. Morgen früh geht es mir bestimmt schon
wieder besser.«
»Kommt nicht in Frage.« Wander machte eine entsprechende Geste. »Kannst du allein gehen?«
Dulac war ganz und gar nicht sicher, dass er es konnte,
aber er nickte trotzdem und stützte sich schwer auf Wanders ausgestreckte Hand um in die Höhe zu kommen.
Seine Knie zitterten. Ohne Wanders Hilfe hätte er es
wohl kaum bis zum Haus geschafft.
Drinnen war es warm und behaglich. Im Herd musste
noch vor kurzem ein Feuer gebrannt haben, denn Wander
brauchte nur wenige Augenblicke, um mit einer Schale
voll lauwarmer Suppe zurückzukommen, die er vor ihm
auf den Tisch stellte. Sein Vater sah ihm die ganze Zeit
über missmutig zu. Er rührte keinen Finger um ihm zu
helfen, beschwerte sich aber auch nicht darüber, dass Dulac eine Schale Suppe bekam ohne dafür zu arbeiten, was
für ihn schon eine überraschende Großzügigkeit darstellte.
Dulac war unendlich müde. Er wollte nichts anderes als
sich auf der harten Küchenbank auszustrecken. Aber der
Geruch der warmen Suppe weckte auch seinen Hunger.
Er hatte mehr als einen Tag nichts gegessen und sein
Magen knurrte hörbar, als er mit zitternden Fingern nach
dem groben Holzlöffel griff.
»Ich hole Verbandzeug«, sagte Wander. »Iss in Ruhe
deine Suppe.«
»Die Pikten«, erkundigte sich Tander, während sein
Sohn aufstand. »Was haben sie getan, nachdem sie dich
niedergeschossen hatten?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Dulac. »Sie haben
wohl gedacht, dass ich tot bin. Ich nehme an, sie sind
fort.«
»Ich hoffe, sie sind tot«, grollte Tander. »Verdammte
Hunde! Es müssen Nachzügler gewesen sein, die wohl auf
jemanden gewartet haben, den sie überfallen und ausrauben können! Aber sie werden dafür bezahlen. Wenn Artus
zurück ist, dann werden wir ein Heer aufstellen und ihnen
einen Gegenbesuch abstatten. Sie sollen spüren, was es
heißt, Krieg in die Mauern einer friedlichen Stadt zu tragen.«
»Artus ist nicht da?«, fragte Dulac harmlos.
Tander schüttelte heftig den Kopf. »Er ist mit all seinen
Rittern losgezogen, um Uther und Lady Gwinneth zu befreien, dieser Narr!«
»Artus ist kein Narr«, widersprach Dulac heftig. »Ich
hätte dasselbe getan.«
»Was nur zeigt, dass du ein ebensolcher Dummkopf
bist«, sagte Tander grimmig. »Was, wenn die Barbaren
zurückgekommen wären? Camelot war wehrlos. Sie hätten
uns alle töten können.«
Dulac hätte ihm gerne abermals widersprochen, aber er
konnte es nicht. Das Schlimme war, dass Tander vollkommen Recht hatte. Es war unverantwortlich von Artus
gewesen, Camelot schutzlos zurückzulassen, nur um zwei
Menschenleben zu retten. Selbstverständlich hätte Dulac
an seiner Stelle dasselbe getan, ging es doch um Gwinneth
und ihren Gatten, aber er verstand Tanders Unmut trotzdem. Jemand wie er war Herr seines Lebens und konnte
frei entscheiden, was er damit tat und für wen er es aufs
Spiel setzte, aber das galt nicht für Artus.
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