Gralszauber
Nacht«, fügte Wander hinzu. »Du
brauchst Ruhe. Für heute kannst du in meinem Bett schlafen. Morgen sehen wir dann weiter.«
Die neue Großzügigkeit des Schankwirtes erlebte einen
nie geahnten Höhepunkt, als Dulac am nächsten Morgen
erwachte. Was ihn aufweckte, war nämlich ein hektisches
Hämmern, Sägen und Werkeln, das vom Dachboden herunterdrang, nicht Tanders Hand, die ihn wie gewohnt vor
Sonnenaufgang wachrüttelte, damit er noch die eine oder
andere Kleinigkeit erledigen konnte, bevor er sich auf den
Weg zur Burg machte.
Es war schon spät. Das Sonnenlicht fiel in schrägen
Bahnen ins Zimmer, die ihm verrieten, dass der Morgen
schon ein gutes Stück vorangeschritten war. Tander hatte
ihn ausschlafen lassen, tatsächlich zum allerersten Mal,
seit Dulac Aufnahme in der Familie des Gastwirtes gefunden hatte, und für einige Momente genoss er einfach das
Gefühl, dazuliegen und allmählich wach zu werden, ohne
dass jemand neben ihm stand und seinen Tag mit einer
Schimpfkanonade und endlosen Vorwürfen begann.
Nach einer Weile richtete er sich auf und verzog das Gesicht, als nun auch die Wunde in seiner Schulter erwachte
und heftig zu pochen begann. Mit zusammengebissenen
Zähnen bückte er sich nach seinen Kleidern und zog sich
ungeschickt und mit nur einer Hand an. Sein blutiges
Hemd war verschwunden. Stattdessen fand er ein sorgsam
zusammengelegtes weißes Wams auf dem Schemel neben
seinem Bett, das Wander gehörte, wie er wusste. Nicht nur
das – es war sein bestes Stück und er hatte es erst im letzten Herbst bekommen. Dulac erinnerte sich gut daran, dass
Tander eine Woche lang über den Preis lamentiert und
wieder einmal so getan hatte, als ob ihn die zusätzlichen
Kosten unweigerlich in den Ruin treiben mussten.
Tander schien wirklich großen Wert darauf zu legen,
dass er einen guten Eindruck machte, wenn er zu Artus
ging.
Dulacs Groll über die scheinbare Gier des Schankwirtes
hatte sich mittlerweile jedoch einigermaßen gelegt. So
unerhört ihm sein Ansinnen auch nach wie vor erschien,
konnte er ihn doch auch verstehen. Die Geschäfte liefen
schlecht in letzter Zeit. Tander hatte Recht. Die Leute trugen ihr Geld nicht ins Gasthaus, wenn ihnen das Dach
über den Köpfen brannte und vielleicht Krieg drohte. Und
Tander in Camelots Küche mochte zwar etwas sein, das
Dulacs Vorstellung von einem Albtraum ziemlich nahe
kam, aber es konnte durchaus schlimmer kommen.
Er zog sich fertig an, ging nach unten und verließ das
Haus, bevor er Tander über den Weg lief und dieser vielleicht auf die Idee kommen konnte, dass es auch noch genug Arbeiten im Haus gab, die man mit nur einer Hand
erledigen konnte. Er trug den linken Arm in der Schlinge,
und solange er ihn nicht übermäßig bewegte, hielten sich
die Schmerzen in seiner Schulter in erträglichen Grenzen.
Dennoch hatte Tander mit seiner Vorhersage Recht: Es
würde Wochen dauern, bis er den Arm wieder ganz normal bewegen konnte.
Dulac machte sich auf den Weg zur Burg. Er ließ sich
Zeit, zum einen, weil seine Schulter stärker schmerzte, je
schneller er sich bewegte, zum anderen aber, weil er Angst
vor dem Moment hatte, in dem er Artus – und vor allem
Gwinneth! – wieder sehen würde.
Camelot bot einen Anblick des Jammers. Anders als das
letzte Mal, als er durch die Straßen der Stadt gegangen
war, waren die Menschen nicht in Panik und er hörte kein
Weinen und keine Schmerzensschreie. Ganz im Gegenteil
drang manchmal ein Lachen aus einer offen stehenden Tür
oder einem Fenster und überall wurde gehämmert und
gearbeitet. Die Menschen bauten wieder auf, was sie verloren hatten, und meistens wahrscheinlich schöner und
größer als zuvor. Dennoch schien etwas wie eine Atmosphäre der Angst über der Stadt zu liegen, eine stille
Furcht, die von den Herzen der Menschen Besitz ergriffen
hatte und selbst noch durch das Lachen in ihren Augen
hindurchschimmerte. Im ersten Moment verstand er das
nicht, aber nach und nach wurde ihm klar, was hier geschehen war. Solange er in Camelot lebte, ja, länger noch,
seit Artus über Camelot herrschte, hatte diese Stadt Frieden erlebt. Artus und seine Ritter zogen oft in den Krieg,
aber die Schlachten, die sie für Gerechtigkeit und Ehre
schlugen, fanden stets weit entfernt statt, jenseits der
Grenzen des Landes oder doch zumindest so weit von der
Stadt entfernt, dass das Wort Krieg für die meisten seiner
Bewohner seine wahre Bedeutung schon lange
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