Gran Reserva
Cristina klang kein bisschen müde. Nach kurzer Zeit wusste er, warum.
»Max? Sie suchen die Ufer des Ebro nach Spuren des Mörders ab.«
»Wieso? Er ist doch…«
»Sie werden deine Reifenspuren finden. Und unsere Fußspuren. Du hast doch nicht irgendwas verloren, oder? Geldbörse? Einen Zettel? Irgendwas?«
»Nein. Nicht dass ich wüsste.« Doch mit einem Mal war sich Max nicht mehr so sicher. Und dann war er plötzlich stocknüchtern. »Ich muss hinfahren und nachsehen. Jetzt sofort.«
»Bist du wahnsinnig? Sie werden dich entdecken!«
»Es ist nur ein Flecken am Fluss. Selbst wenn die Polizei Spuren von uns findet, heißt es nicht, dass wir eine Leiche dort entsorgt haben.«
Cristina zog scharf die Luft ein. »Kannst du dich denn nicht mehr an die Nacht erinnern, Max? Wir haben die Leiche ein Stück über den Boden gezogen. Das werden sie sehen können.«
»Ich melde mich wieder.«
»Max!«
Er legte auf. Max wollte nicht hören, dass es eine dumme Idee war – das wusste er nämlich selbst. Cristina versuchte mehrfach, ihn zu erreichen, doch Max stellte das Handy auf stumm, und als er in seinen Wagen stieg, warf er es mit dem Display nach unten auf den Beifahrersitz.
Doch dann griff er es sich wieder.
Wenn es regnete, gäbe es keine Spuren mehr! Der Himmel über La Rioja war nicht strahlend blau, vielleicht war die Natur gnädig? Gab es nicht ein Regenradar für sein Handy? Max fuhr rechts ran, suchte, fand und lud sich die App herunter. Es dauerte lange, bis die GPS-Daten den entsprechenden Landkarten-Ausschnitt anzeigten.
La Rioja würde trocken bleiben.
Die Spuren von Reifen und Schuhen so frisch, als wären sie gerade erst entstanden.
Max trat aufs Gaspedal.
Ihm war noch etwas eingefallen.
Er hatte einen Zigarettenstummel ans Ufer geworfen. Und wenn CSI ihn irgendetwas gelehrt hatte, dann, dass DNA-Spuren heute fast so einfach zuzuordnen waren wie Porträtaufnahmen. Wieso war er damals bloß so dumm gewesen?
Wie lautete seine heutige Sekundenmeditation? Vielleicht beruhigte die ihn.
»Heute nehme ich Momente mit Zeit wahr.«
Prima, dann würde er heute nicht viel zu tun haben.
Max hielt die Augen nach Polizeifahrzeugen offen. Ja, er blickte sogar ständig in seinen Rückspiegel, ob er beschattet wurde. Wo war er nur hineingeraten? Er wollte sein Leben ordnen, seinen Weg finden, der ihm verloren gegangen war, und nun fühlte er sich verlorener als je zuvor. Wie in einem Film, dessen Regisseur aus Frankreich stammte. Lieber wäre ihm ein amerikanischer Actionfilm gewesen. Obwohl er sich die sonst nie anschaute. Aber die Helden überlebten und bekamen die schönste Frau.
Im Radio wurde berichtet, dass Escovedos Leben durchleuchtet wurde, seine Familie, Freunde, doch dass man bisher nichts Außergewöhnliches entdeckt hatte. Escovedo hatte lange im baskischen Tierpark Karpin Abentura gearbeitet, zum Schluss bei den Schildkröten, war beliebt gewesen bei den Kollegen, keine Auffälligkeiten. Eine Seele von Mensch, die Nachbarn waren ratlos. Nach einem unangemessen fröhlichen Lied von Shakira gab es Neuigkeiten von der Polizei. Diese hatte herausgefunden, dass die Folie, in die Escovedo eingewickelt war, fast ausschließlich von Bodegas benutzt wurde.
Die Schlinge zog sich enger.
Und auf dem Regenradar keine Änderung.
Max zögerte, als die Abzweigung zum Ufer rechts vor ihm auftauchte. Er wurde langsamer, blickte nochmals zum Himmel, steuerte dann jedoch abrupt den Feldweg hinab. Das Radio schaltete er aus, das Fenster kurbelte er herunter, Schritttempo. Trockener Staub wirbelte herein, Max versuchte, über dem Fahrgeräusch mögliche Stimmen von Polizisten zu hören.
Dann stoppte er den Jeep und setzte zurück, parkte an der Straße. Am klügsten wäre es, er ginge zu Fuß, und zwar nicht auf dem Feldweg, sondern auf dem vertrockneten, gelben Gras daneben; nur keine Spuren hinterlassen. Max ging langsam – und tatsächlich sah er etwas.
Jemand stand am Ufer.
Kein Polizist.
Er trug normale Kleidung. Und benahm sich … merkwürdig. Es handelte sich nicht um einen Angler, auch nicht um einen Spaziergänger. Der Mann hatte einen Besen dabei.
Und fegte den staubigen Boden.
Max legte sich auf den Boden und nahm die Szenerie genau in Augenschein. Rechts neben dem Weg stand ein Wagen, ein roter Alfa Romeo. Nicht gerade ein gängiges Polizeifahrzeug. Der Sportwagen stand ein ganzes Stück vom Ufer entfernt auf dem trockenen, gelben Gras, wo nicht so leicht Reifenspuren
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