Gran Reserva
ihn.
»Hola, was für ein Tag.«
»Es ist genau derselbe wie gestern.« Max hatte nicht gesehen, wie der Mund des Greises sich bewegt hatte, seine Stimme brummte, als würde sie von zwei Bäumen erzeugt, die aneinanderrieben.
»Nicht für jeden«, sagte Max. »Für mich ist nicht einmal die Welt dieselbe wie gestern.«
»Dann machen Sie etwas richtig.«
»Da bin ich mir nicht so sicher. Oder doch: Ich bin mir sicher, dass ich etwas völlig falsch gemacht habe. Ich bin Max.« Er streckte ihm seine Hand entgegen, doch sie wurde nicht geschüttelt. »Was tun Sie hier? Wollen Sie Tauben füttern?«
»Ich sitze.«
»Nur sitzen?«
»Nur sitzen.«
»Machen Sie das jeden Tag?«
»Seit dreiundzwanzig Jahren.«
Die Lippen bewegten sich nur wenig, als wollte der Alte keine Kraft unnötig verschwenden. »Sie kennen wahrscheinlich jeden hier im Ort.«
Der Greis brummte.
»Dann sicher auch Cristina Lopez.« Es war ein Schuss ins Dunkle. Max war nicht so naiv zu glauben, dass jeder Cristina kennen würde. Aber worüber sollte er mit dem Mann sonst reden?
Jetzt bewegte er sich. Max meinte, das Knarzen seiner Knochen zu hören, gleich einem Baukran, der herumschwenkte.
»Wenn du glaubst, dass ich dir irgendetwas über Cristina Lopez erzähle, dann hast du dich sehr getäuscht. Dir erzähle ich auf gar keinen Fall was.«
»Wieso? Also wieso gerade mir nicht?«
Doch der Mann hatte sich wieder seiner Lieblingstätigkeit zugewendet: dem Sitzen. Max fragte noch zweimal nach, doch er bekam keine Antwort.
Er hatte sich in Spanien Kargheit gewünscht. Doch jetzt war es ihm doch ein bisschen zu viel.
Max spürte, dass alles sogar noch viel schlimmer kommen konnte.
Egal, wie viele Tagesmeditationen er durchziehen würde.
Kapitel 3
1997 – Regen im Sommer. Nicht glorreich.
Max hatte den Nachmittag im Bett verbracht, denn Juan plante, die Nacht in den Tapas-Bars Logroños zu verbringen. Damit meinte er die ganze Nacht, bis die Sonne wieder aufging.
Max holte deshalb einige der Stunden nach, die ihm die letzte Nacht versagt hatte. Es war bereits neun Uhr abends, als Juan ihn weckte.
»Sag mal, kennst du eine Esther?«
»Was? Wen?« Der Traum wich nur langsam zurück, wollte der Realität nicht kampflos das Feld überlassen. Doch der Name Esther zerriss ihn jetzt wie eine Bombe.
»Sie kennt dich auf jeden Fall.« Eine Katze sprang auf sein Bett.
Max setzte sich auf, die Fetzen seines Traums verblassten im Nu. »Sie ist meine Ex. Und sie hat keine Ahnung, dass ich hier bin.«
»Oh doch.«
»Aber keiner weiß…« Und dann dämmerte es ihm. Seine Mutter. Er hatte sie angerufen, damit sie sich keine Sorgen machte oder die Polizei informierte. Er hatte ihr das Versprechen abgenommen, niemandem davon zu erzählen. Vor allem nicht Esther, die seine Mutter tief ins Herz geschlossen hatte. Ganz besonders nicht Esther. Und obwohl seine Mutter es ihm hoch und heilig versprochen hatte, tat sie für gewöhnlich das, was sie selbst für richtig hielt, statt das, was Max sich wünschte. Und Esther hielt sie für richtig. Doch woher wusste sie von Juan? Er selbst hatte es doch erst auf dem Weg entschieden, wo er Quartier bezog. Und sein Handy lag in einem Mülleimer des Kölner Hauptbahnhofs. Wie um alles in der Welt…?
»Was wollte sie?«
»Dich sprechen.« Eine weitere Katze erschien neben Juan.
»Was hast du gesagt?«
»Dass du nicht da bist.« Katze Nummer drei legte sich neben ihm auf den Rücken.
»Mist, dann weiß sie jetzt definitiv, dass ich hier bin.«
»Nein.« Juan riss die Decke vom Bett. Fünf Katzen warfen sich in Kampfeslaune darauf. »Ich habe gesagt, dass ich dich seit Jahren nicht gesehen habe.«
Max stand aus dem Bett auf, obwohl er nur ein T-Shirt trug – und stolperte dabei fast über eine der zwölf Katzen. »Wieso?«
Juan pfiff kurz, und die Katzen gaben den Weg frei. »Die anderen warten schon, zieh dich an. Es wird ein denkwürdiger Abend.«
»Woher hast du gewusst, dass du sagen musst, ich sei nicht da? Weil du ein verfluchtes Genie bist?«
Juan grinste breit. »Das auch. Aber es war vor allem ihre Stimme, sie war so…schneidend. Das kann ich nicht leiden. Und du machst den Eindruck, als wärst du auf der Flucht. Vielleicht vor einer Frau? Das könnte ich verstehen. Und als dein Bruder im Geiste gewähre ich dir hiermit offiziell Rioja-Asyl.«
Max schloss ihn in die Arme und strich ihm über die wallenden Haare. »Du bist echt gut, weißt du das? Richtig, richtig gut.«
»Weiß ich doch«,
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