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Gran Reserva

Gran Reserva

Titel: Gran Reserva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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sagte Juan. »Und du solltest mich erst mal in einer Tapas-Bar singen hören.«
    Es war laut. Ein startender Düsenjet wäre untergegangen. Spanier suchten sich grundsätzlich niemals eine Kneipe aus, in der noch Platz war, sondern stets die, in die eigentlich niemand mehr reinpasste. Auch keine Luft. Juan hielt sich mit Freuden an diese Tradition. Jetzt stand er auf dem Tisch und sang, irgendetwas über Wein, Schläuche und Frauen. Dreiviertel der Bar sangen mit.
    Es blieb nicht die einzige Tapas-Bar, die sie in Logroño besuchten. Im Tapas-Viertel drückte sich in kleinen, mittelalterlichen Gassen eine Bar neben die andere, als wollten sie alle einen Platz in der ersten Reihe haben. Jede bot zwei, drei kulinarische Spezialitäten an, wegen derer die Gäste kamen und zu welchen stets ein Glas Wein getrunken wurde, bevor man weiterzog. So gab es auch keine Konkurrenz.
    Max aß Chorizo Riojano a la Brasa, Croquetas Caseras de Jamón, Espárragos de Navarra con dos Salsas sowie Pimientos del Piquillo Asados al Homo und lernte viele neue Freunde kennen, deren Gesichter und Namen er sich nicht merkte. Irgendwann wusste er auch nicht mehr, ob er gerade im El Sitio de Logroño oder im Asador Tahiti war, alle Tapas-Bars verschmolzen zu einer, überall schienen die gleichen Menschen zu feiern, die Nacht schweißte alles zusammen zu einer einzigen langen Theke. Und mit Juan führte er ein einziges langes Gespräch – das in Wirklichkeit von ständigen Bar-Wechseln unterbrochen wurde. Der Alkoholpegel in Maxʼ Blut stieg derweil sprungartig an.
    Es begann mit einer harmlosen Frage von Juan. »Wie ist das Leben als Modefotograf, Max? Klingt nach einem Traum.«
    Max stieß mit ihm an. »Wie eine jahrelang aufsteigende Übelkeit – mittlerweile finde ich die ganze Branche nur noch zum Kotzen.« Er grinste in sein Glas. »Natürlich habe ich es am Anfang geliebt. Und auch viele Jahre danach noch. All die Bewunderung, die schönen Frauen, die schönen Frauen in meinem Bett, das Geld, die Partys, all das Highlife, das Gefühl, zu den Auserwählten zu gehören, zu Gottes Lieblingskindern.«
    »Sind wir Künstler das denn nicht?«
    »Vielleicht du. Aber ich gehörte in diese Szene nie hinein. Das war nie ich , verstehst du? Es war ein bisschen, als hätte man mich unter Drogen gesetzt. Und jetzt will ich den Entzug. Hier. Weißt du, was das für Leute sind, Juan? Merlot-Trinker, allesamt! Je samtig-weicher, desto besser!«
    Juan verzog das Gesicht, als hätte ihn jemand mit High Heels auf den Fuß getreten. »Echt?«
    Max nickte. »Am liebsten Merlot, der geschmacklich kaum von Fruchtbowle zu unterscheiden ist. Wobei sie ihn meist nicht mal getrunken haben, natürlich nicht, sie nippen nur daran, bevor sie zur Cola Light übergehen. Da kann man ja gleich an einer Plastiktüte lecken!«
    »Und deine Freundin, Emilia?«
    »Esther.« Max schüttelte den Kopf. »Wir haben nie zusammengepasst. Zumindest hat sie nicht zum echten Max gepasst. Zu dem gefeierten Modefotografen im Dauerhigh schon, zu dem Geblendeten, am eigenen Erfolg Besoffenen. Ich hab genug davon. Sollen sie mir Yachten, Inseln und Königreiche bieten. Ich kehre nicht zurück. Ich bleibe bei dir – natürlich nur, wenn du mich haben willst.«
    »Aber sicher, Max. Das weißt du doch. Noch einen Tempranillo?«
    »Einen alten«, sagte Max, »einen klassischen, einen animalischen, Gran Reserva, sonst nichts.«
    Es gab einen alten Faustino, ein 1999er, guter Jahrgang. Er duftete nach Pflaumen, Himbeeren, Zedernholz, Waldboden, Vanille und Gewürzen aus dem Morgenland. Am Gaumen gesellte sich englischer Christmas Cake dazu. Alles harmonisch und komplex, kein bisschen zu schwer.
    Max zeigte demonstrativ auf das Glas. »So einen Wein verstehen die in der Modeszene nicht. Das war die letzten Jahre meine kleine, meine einzige Rebellion gewesen, dieses Urzeug, dieses wilde Grollen, diese weingewordene Stierstampede, bei mir gabʼs nichts anderes, schon gar keinen Merlot!«
    Juan füllte großzügig nach, denn so wie der Wein aus der Flasche floss, sollte auch all der Kummer aus Max entweichen.
    »In Düsseldorf hattest du mit Mode doch noch gar nichts zu tun?«
    »Bin da so reingerutscht, hatte nie vorgehabt, in dem Bereich zu landen… oder besser: zu stranden! Hatte einmal einen Job angenommen, der war gut gelaufen, dann folgte der zweite. Wie es halt so ist.«
    Max verschwieg, dass sein Erfolg aber nicht nur Zufall war. Er hatte ein sehr gutes Auge für Motive, arbeitete

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