Gran Reserva
professionell, und war im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen kein komplett geisteskrankes Arschloch. Deshalb stieg er rasant auf. Bald hatte er den Ruf, sogar mit den schwierigsten Zicken zurechtzukommen. Andere Fotografen kannten nur zwei Methoden, mit diesen umzugehen: devot all ihre Macken ertragen und hinterher ablästern oder den Brigadegeneral raushängen lassen inklusive Brüllen, Strafen, Einzelhaft.
Max ignorierte die Macken einfach, tat so, als wäre überhaupt nichts. So war es damals auch bei Naomi Campbell gewesen, dem Albtraum schlechthin, dem natürlichen Feind des Modefotografen, dem Teufel in Traummaßen. Sie hatte bei ihm die ganze Show abgezogen: Heulen, Schreien, übelste Beschimpfungen, Wurfgeschosse aus allem, was gerade zur Hand war – inklusive dem Mittagessen des gerade verhungernden Beleuchters.
Max fotografierte einfach weiter.
Das Magazin hatte die Fotos geliebt, die Leser hatten sie geliebt, die Jury des International Fashion Photography Prize ebenfalls – und ihm den ersten Preis verliehen.
Danach hatte Naomi ihn geliebt. Die Sache hatte sich schnell rumgesprochen: Zick nicht rum, er schießt sowieso. Und: Vertrau ihm, seine Bilder sind geil.
Danach konnte Max verlangen, was er wollte. Sie zahlten.
Es tat ihm gut, darüber zu reden. Auch wenn er sich danach arg selbstmitleidig vorkam. Aber wenn man das gegenüber einem guten Freund nicht sein durfte, wann dann? Eben!
Doch der Abend war in einer Hinsicht anders als erwartet. Er war ein Puzzle. Immer wieder drangen Gesprächsfetzen von anderen Barbesuchern an Maxʼ Ohr, die meisten über Familie, Fußball, Radfahren, Frauen oder Politik. Doch es gab ein weiteres Thema, das sich durch die Düfte der würzigen Spezialitäten und der roten, weißen und roséfarbenen Weine der Rioja stahl und das mit tödlicher Sicherheit in jeder Bar auftauchte, wenn man nur lange genug wartete. Zuerst hatte Max nicht erkannt, dass die einzelnen Teile zusammenhingen, doch am Ende der Nacht hatte er sie zusammengefügt.
Bar Lorenzo, ca. 22.20 Uhr, gegrillte Chistorra – Chorizo mit süßer Paprika und Knoblauch sowie Lamm-Kebab mit Geheimsoße.
»War der Ami schon bei euch in der Bodega?«
»Nein, welcher Ami?«
Der Rest ging im Gemurmel unter.
Bar Soriano (direkt daneben), ca. 22.50 Uhr, Setas – in Knoblauchbutter gebratene Pilze, aufgespießt mit einem Shrimp.
»Der Bursche, also der war wohl schon bei etlichen Bodegas.«
»Welcher Bursche?«
»Na, der aus den USA. Muss unglaublich viel Geld haben.«
La Aldea (gegenüber), ca 23.10 Uhr, Krustentiere, die hier bis zur Perfektion gekocht wurden.
»Ein Sammler. Aber was für einer. Frag mich nicht nach dem Namen. So was kann ich mir nie merken.«
La Tasco del Pato (etwas entfernt auf der Calle Laurel), wen interessierte es noch, wie spät es war? Gegrillter weißer Spargel mit einem Wrap aus Rioja-Käse und txangurrito, einem Fischkuchen aus Krustentieren und einer reichhaltigen Bechamelsoße.
»Nur Rotwein. Und alter. Probieren will der Ami nicht, nur kaufen.«
El Soldado de Tudelilla, nachts, Guingillas – Grüne Peperoni, die so scharf waren, dass die Luft vor ihnen flirrte.
»Ist erst seit wenigen Tagen in Rioja. Ein dicker Bursche, ein Walross mit prächtigem Schnurrbart, trägt immer Sonnenbrille, als wäre er ein Pokerspieler. Na ja, ist er irgendwie wohl auch. Ein knallharter Verhandler. Weiß genau, was die Weine auf dem Markt bringen.«
Max fand es interessant, dass sich der ganze Ort mit dem gleichen Mann zu beschäftigen schien, doch er dachte sich nichts weiter dabei. Seine Gedanken kreisten mit steigendem Alkoholkonsum immer weniger um den Mord und immer mehr um Cristina. In seinen sehnsüchtigen Gedanken verschmolz sie immer mehr mit seiner…ja, seiner großen Liebe, einer Frau von unglaublicher Sturheit und mit einem Willen, für den eisern ein zu biegsames Wort wäre. Menschen, die mit ihren Händen über dem Kopf tanzten, gingen für sie überhaupt nicht. Langhaarige Männer, Käse (außer Camembert), Tätowierungen, Innereien, lange Flüge, schwabbeliges Essen, Bitteres (auch Kaffee), Wellen. Die Liste der Dinge, die sie aus vollstem Herzen verachtete, war beeindruckend. Und für jede einzelne ihrer Abneigungen hatte er sie nur noch mehr ins Herz geschlossen. Und so begriffen, dass er sie liebte.
Ob Cristina ebenfalls dermaßen verrückt war?
Er hoffte es.
Morgens um kurz nach sieben war Max so betrunken, dass er sie anrief.
Es dauerte lange, bis sie abnahm.
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