Gran Reserva
Selbstsicherheit war so schnell aus ihm geflossen wie Wein aus einer zerbrochenen Flasche. Max ging zurück und versuchte tief und beruhigend zu atmen, als er kurz vor dem Ausgang eine Tür in der Wandverschalung entdeckte, die erst auf den zweiten Blick als solche zu erkennen war. Sie stand leicht offen und musste wohl zur aufwendigen Deckenkonstruktion des Barrique-Kellers führen.
War Salinas vielleicht doch irgendwo in der Nähe?
Max trat hinein. Metallene Streben hielten die trapezförmige Decke, die weit ins Gebäude hineinreichte. Max blieb stehen. Vor ihm lag Pepe Salinas in seinem Blut, das wie eine dickflüssige, tiefdunkle Gazpacho aus seinem völlig deformierten Schädel quoll. Max wurde übel.
Neben der Leiche stand eine alte Korbpresse, eigentlich ein Ausstellungsstück, das hier vermutlich zwischengelagert und bestimmt schon Jahrzehnte nicht mehr benutzt worden war.
Doch heute war sie wieder in Betrieb genommen worden.
Der Täter, oder die Täterin, musste Salinas Kopf eingespannt und dann gepresst haben, bis er zerplatzte wie die Trauben, die ihren Saft ergießen sollten.
Max knickten die Knie ein.
War er nun schon wieder unter Mordverdacht? Wer sollte ihm jetzt noch glauben, dass er unschuldig war? Er, der im Besitz einer Kette des ermordeten Alejandro Escovedo war. Der mit Pepe Salinas gestritten hatte. Dem die Sekretärin gesagt hatte, wo der Exportmanager zu finden war. Er, der Doppelmörder aus Deutschland.
Max holte langsam sein Handy hervor und wählte die Nummer, die ihm der Kommissar nach seiner Vernehmung gegeben hatte.
Er brauchte drei Versuche, um sie mit zitternden Fingern korrekt einzugeben.
Die Tür der Zelle schloss sich schwer und dumpf hinter Max. Er musste unwillkürlich an einen Sargdeckel denken, der geschlossen wurde. Nur durch ein hoch angebrachtes, vergittertes Loch fiel Licht herein in die dunkelgrau getönte Ödnis mit Bett und Stahlkloschüssel (kein Deckel).
Max stand in den lächerlichen fünf Quadratmetern, drehte sich einmal im Kreis, und ein breites Grinsen erschien in seinem Gesicht, ja, er lachte mit einem Mal laut los, gleichzeitig liefen ihm Tränen die Wangen hinab. Es war ein emotionaler Regenbogen. Einerseits völlig niedergeschlagen, weil sein Leben in diese Sackgasse geraten war, andererseits machte sich das Leben scheinbar gerade über ihn lustig, und er musste einfach mitlachen. Er war nach Rioja gereist, weil er das karge, ungeschönte Leben gesucht hatte.
Karger und ungeschönter als in dieser Knastzelle ging es nicht.
Doch irgendwann verstummte sein Lachen. Er ließ sich aufs Bett fallen und starrte die Decke an, über die sich Risse wie in einem ausgetrockneten Flussbett zogen. Es würde dauern, hatte sein Anwalt gesagt, nachdem er es wieder geschafft hatte, ausreichend Luft in seine Lungenflügel zu transportieren. Maxʼ Anruf hatte ihm den Atem verschlagen. Er solle bloß keine Wunder erwarten. Obwohl der Jakobsweg so nahe liege. Max folgte mit den Augen dem größten Riss, der sich die Wand heruntergearbeitet hatte. Die ganze Sache hatte immerhin auch ihr Gutes: Jetzt war alles raus. Nun ja, nicht alles, die Sache mit dem Leichenfund im Weinkeller und der Entsorgung im Ebro hatte er verschwiegen. Zur ersten Mordnacht hatte er einfach komplett die Aussage verweigert. Man wollte ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Emilio Valdés, der schwergewichtige leitende Polizeibeamte, hasste ihn sowieso schon genug. Mancher behauptete, in der Ruhe liege die Kraft, der Polizist fand sie im Schreien.
Seinem Anwalt hatte Max hingegen alles erzählt. Ja, selbst von seinen Gefühlen für Cristina. Eigentlich waren Gefühle ja etwas Gutes. Rauslassen sollte man sie.
Ha!
Wie konnte alles nur so furchtbar falsch laufen?
Sogar seine Meditationskarten hatten sie ihm abgenommen. Er konnte sich nur selber etwas ausdenken. Hm, was würde passen? Ach ja: Heute werde ich mir bewusst, welche Scheiße ich gebaut habe.
Prima, dann war er ja schon voll dabei!
Der Mond schien wie eine Glühbirne durch das vergitterte Fenster. Max schlief wie ein Stein. Wie ein großer, schwerer Kiesel. Als er aufwachte, war es noch dunkel. Er blickte auf seine Uhr. Erst kurz nach fünf. Zu seiner Überraschung war er enttäuscht, keine einzige Katze in seiner Nähe vorzufinden.
Um kurz nach sieben wurde die Klappe an seiner Tür geöffnet und wortlos ein Frühstück im Blechgeschirr hereingeschoben. Es war überraschend gut. Und Max war tatsächlich hungrig. Die
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