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Gran Reserva

Gran Reserva

Titel: Gran Reserva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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flüsterte ihm etwas zu. Mit einem verdutzten und unsicheren Blick reichte er dem Monarchen sein Kellnermesser.
    Dieser öffnete den 64er Gran Reserva, prüfte den Korken fachmännisch, und brachte die Flasche zu Max, um ihm einzugießen. Der Kellner folgte ihm mit der Holzkiste in den Händen. Dann verkorkte der König die Flasche wieder, legte sie zurück in ihre schützende Box und übergab sie Max.
    Hatte das spanische Staatsoberhaupt persönlich ihm gerade tatsächlich eine Flasche vom wertvollsten Gran Reserva geschenkt?
    Heute nehme ich wahr, was vor mir liegt.
    Ein Glas mit großartigstem Wein.
    Max bedankte sich ein knappes Dutzend Mal, holte die Flasche wieder heraus und wies den Kellner an, jedem am Tisch etwas davon einzugießen – Cristina und ihrem Vater besonders großzügig.
    Den Toast sprach der König. »Auf einen Freund aus Deutschland!«
    Max ließ den Tropfen auf seinen Gaumen gleiten und schloss wie von selbst die Augen. Er konnte gar nicht anders. Diese unglaubliche Tiefe, als erzähle der Wein eine Lebensgeschichte mit jedem Tropfen, der über die Zunge glitt. Als schwärme er von einem heißen Sommer, den kühlenden Herbstwinden, der Reife praller Trauben, den Händen der Lesehelferinnen, der Zeit im wohligen Fass. Ein Duft wie Parfum und doch um so vieles echter. Sandelholz und Lavendel, Walnüsse eines uralten Baumes, der tief wurzelte, getrocknete Feigen, die alle Fruchtigkeit wie eine Essenz in sich trugen. Max vergaß völlig, dass es Wein war, den er trank, vergaß, dass es chemisch betrachtet nur Aromen waren, die Nase und Mund mittels Neuronen weiterleiteten. Er badete in purem Gefühl, Wohligkeit durchströmte ihn.
    Als er die Augen wieder öffnete, starrten ihn alle an. Dann begannen sie zu lachen, einige klopften ihm auf die Schulter. Cristina flüsterte ihm zu, dass er gestöhnt habe beim Genießen des Weines. Sie gab ihm einen Kuss dafür.
    Er war angekommen.
    Ja, er war fraglos angekommen. Endlich.
    Max war in Rioja.
    Das Land floss nun in seinen Adern.

Epilog
    Der Duft des gefallenen Regens strömte aus dem Boden La Riojas. Die Erde schien tief durchzuatmen. Wie auch die Gäste in Juans Garten. Er hatte dort den großen Holztisch aufgebaut und die Kohlen unter seinem Schwenkgrill zum Knistern und Glühen gebracht. Ihm war nach einem Fest zumute, offiziell aus Anlass des Königsbesuchs, inoffiziell, weil endlich die Morde aufgeklärt waren und er nicht mehr in jeder Minute mit dem Besuch der Polizei rechnen musste. Jeder Anlass war Juan willkommen. Kurzerhand hatte er zig Freunde eingeladen, neben ihm saß eine neue Schönheit, die mit ihren raspelkurzen, weißen Haaren, der blassen Haut und dem jungenhaften Körper wie eine Gestalt aus der Zukunft wirkte. Juan hatte auch Iker, Cristina, Carlos und Padre Loba dazugebeten, Esther war uneingeladen erschienen, aber willkommen ge„wesen.
    Gegen die große Eiche gelehnt stand das Bild von Juans Eltern, das er am Tag begonnen hatte, als Max in Rioja eingetroffen war. Juan hatte es mehrfach übermalt, mit strahlendem Rot, tiefem Blau, nur die Augen und die ineinander greifenden Hände des Ursprungsbildes waren noch zu sehen. Doch sie reichten völlig aus, um die allen Stürmen trotzende Verbundenheit zu zeigen, welche die beiden seit Jahrzehnten verband.
    Max schenkte den Gästen großzügig ein. Julio Faustino Martinez hatte jedem Gast der Jubiläums-Feierlichkeiten eine Holzkiste seines Gran Reservas übergeben, Juan hatte allerdings nach dem jüngeren, fruchtig-vanilleduftigen Faustino VII gefragt und davon noch einen zusätzlichen Karton erhalten, von dem sie nun die ersten Flaschen öffneten.
    Ein kleines Rudel Katzen begleitete Max von einem Gast zum nächsten. Yquem allerdings lag wie eine Schnecke zusammengerollt auf Maxʼ Tasche in der Sonne. Im Reinen mit sich, der Welt und seinem gut gefüllten Magen, streckte er sein kleines Bäuchlein den wärmenden Sonnenstrahlen entgegen.
    Als Max bei Padre Loba ankam und ihm über die Schulter einschenkte, sprach er leise in dessen Ohr. »Ich war sehr überrascht, von Ihrer Freundschaft mit dem König zu hören.«
    »Eine Freundschaft ?«, der Priester zog die Augenbrauen empor. Mit seiner Glatze, seiner opulenten Größe und seinen scharfen Gesichtszügen wirkte er fast wie ein slawischer Herrscher. »Wir sind beileibe keine Freunde. Wir führen seit Jahren eine Briefkorrespondenz, aber es ist ein Anbrüllen in ausgewählten Worten, bei dem es um das Recht der Kreatur auf Leben

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