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Granatsplitter

Granatsplitter

Titel: Granatsplitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Bohrer
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etwas Geheimnisvolles sich ereigne.
    Zur Erzählung des Vaters gehörte auch, wie dieser einige Zeit, bevor der Krieg richtig ausbrach, mit Freunden über den drohenden Krieg gesprochen hatte. Dass der Diktator darauf aus war und die Weltmächte nichts dagegen unternehmen würden. Der beste Freund, der ähnliche Ansichten teilte, war der Bruder des Vaters gewesen. Der war ein sehr eleganter Mann mit knappgeschnittenen schwarzen Haaren und einem Oberlippenbart. Er hatte den Vater und ihn selbst einmal zum Frühstück eingeladen und in seinem dunkelblauen Pyjama und einem phantasievoll gemusterten Morgenmantel und ledernen Slippern die Tür geöffnet. Der Bruder war der Ältere, damals noch Junggeselle. Es hatte den Jungen beeindruckt, dass man das Frühstück mit Messer und Gabel zu sich nahm und der Tee immer in zwei Kannen bereitstand. Es hatte auch Champagner für die beiden Brüder gegeben. Die Wohnung des Onkels hatte wegen der exotischen Kunst, die er sammelte, etwas Besonderes an sich. Er war nicht Künstler wie der Großvater, sondern Direktor eines großen Kaufhauses, das im Ausland Niederlassungen gründete, für die er auch verantwortlich war. Übrigens war er der Lieblingssohn der Großmutter, die nie aufhörte sich zu ereifern, dass der Vater ein so einfaches Mädchen geheiratet hatte.
    Der Bruder des Vaters kannte auch den beim Tanztee angegriffenen Freund des Vaters. Bei ihrem Besuch kam die Rede manchmal auf diesen Vorfall. Früher, erzählte der Vater, war zu diesen Treffen auch Allo, der Studienfreund, gestoßen, den er später eines Nachts mit dem Auto an die Grenze nach Frankreich gebracht hatte. Der Freund stammte aus einer erzkatholischen Familie. Seine beiden Schwestern waren Nonnen geworden, während er selbst sich schon früh der radikalen Arbeiterpartei anschloss. Deshalb hatte ihn die Polizei gesucht, und er hatte sich für einige Wochen im Stadthaus der Eltern des Vaters versteckt gehalten, bis auch das zu gefährlich wurde. Dem Freund war es in Paris gelungen, als Redakteur in der Wirtschaftsredaktion der wichtigsten kommunistischen Zeitung eine Anstellung zu finden, weil er gut französisch sprach. Die Brüder hätten aber die Kritik des Freundes an der alten Regierung vor dem Umsturz falsch gefunden. Der Vater hatte den Freund bald in Paris besuchen wollen, um mit ihm über ihre gegensätzlichen Ansichten zum Wirtschaftssystem zu reden. Das Wort »Wirtschaft«, das wusste er längst, hatte einen doppelten Sinn. Meistens bedeutete es ein Gasthaus, aber im Munde des Vaters immer etwas anderes. Jedenfalls seien er und der Bruder sich einig darin gewesen, dass die Ansichten ihres Freundes über Wirtschaft grundfalsch seien. Der Bruder des Vaters sowieso und der Vater auch, weil er, wie er sich ausdrückte, dafür »zu bürgerlich« sei. Er merkte sich diese Redewendung des Vaters. Bürgerlich – das war wohl die Familie, das schöne Haus der Großeltern, der Lateinunterricht und die Erzählungen von Frankreich. Alles, was ihm gut gefiel. Als die Eltern einmal nach Paris gefahren waren, und er beim irischen Großvater bleiben durfte, erhielt er von ihnen eine Ansichtskarte von einem Kirchturm, aus dem eine riesige Teufelsfratze ragte. Das war ein unvergesslicher Anblick. Er hatte sich daran nicht satt sehen können. Das Gesicht sah nicht wie der Teufel der Sagen aus. Dafür war alles an ihm viel zu ausgebildet in einer Schärfe, die kunstvoll wirkte und deshalb auch das Gesicht nicht nur schrecklich, nicht nur abschreckend, sondern auch geheimnisvoll machte. Deshalb hatte er lange über den Teufel nachgedacht, denn so sah er aus, wie die Großmutter ihm klipp und klar erklärte: eine Fratze mit Hörnern, die aus dem Kirchturm drohte.
    Was er nicht verstand. Wieso war das Teufelsgesicht an diesem Kirchturm? Die Kirche gehörte zum Himmel, der Teufel in die Hölle, tief unten. Er hatte gehört, dass es Menschen gab, die nach ihrem Tod nicht in den Himmel kamen. Aber auch nicht direkt in die Hölle, sondern in das Fegefeuer, also dorthin, wo sie von den Sünden gereinigt würden. Dazu gehörten die Evangelischen. Es gab unter den Jungen, mit denen er auf der Straße schon gespielt hatte, bevor sie die Granatsplitter sammelten, solche Evangelischen. »Ich bin evangelisch«, hatte er sie sagen hören. Und sie hatten ihm leid getan, denn sie kamen ja nicht direkt in den Himmel oder sogar überhaupt nicht. Dass sie nur darin so anders gewesen waren als er selbst, das hatte seine Gedanken sehr

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