Grand Cru
Félix, Félix Jarreau. Spendieren Sie ihm einen Wein, und er wird Ihnen alles sagen, was Sie hören wollen.«
In allen Cafés Frankreichs scheint sich immer das gleiche Grüppchen alter Männer aufzuhalten, die um einen kleinen Tisch sitzen, Karten spielen und einen
petit blanc
trinken, während über ihren Köpfen ein Fernseher flackert, ohne dass irgendjemand darauf achtete. Bruno hatte Félix Jarreau noch als Briefträger gekannt, und wie fast alle Bewohner des Tales kannte auch Félix den Polizisten vom Sehen. Bruno stellte sich vor, schüttelte allen die Hand und nahm am Tisch Platz, als er dazu aufgefordert wurde. Das Angebot, ein Gläschen mitzutrinken, lehnte er dankend ab. Der Wirt war offenbar neugierig. Er kam mit einer Flasche, schenkte den anderen nach und blieb neben dem Tisch stehen, als Félix auf Brunos Frage hin erklärte, tatsächlich etwas gehört zu haben.
»Kurz nach halb vier. Das weiß ich so genau, weil ich gerade aufgewacht war und auf die Uhr gesehen habe. Da kam ein Motorrad die Straße runter und hielt vor der
mairie
an. Ich hab rausgeguckt, und da stand es auf dem Parkplatz. Jemand ist in die Telefonzelle rein, aber er trug einen Helm, einen dieser großen, die bis übers Kinn gehen. Als er wieder rauskam, ist er gleich weitergefahren, den Berg runter.«
»Würden Sie ihn wiedererkennen?«, fragte Bruno.
Félix schüttelte den Kopf. »Wie gesagt, er hatte diesen Helm auf.«
»Hat er den denn nicht abgenommen, um zu telefonieren?«
Félix zuckte mit den Achseln. »Das kann man von meinem Fenster aus nicht erkennen. Ich hab auch nicht lange hingesehen, sondern bin gleich in die Küche, um Kaffee zu machen.«
»Können Sie das Motorrad beschreiben?«
»Das war eins dieser neueren Dinger, mit denen man auch Motocross fährt, mit winzigen Schutzblechen und starker Maschine, sehr laut. Meist knattern junge Burschen mit solchen Maschinen herum.«
»Haben Sie ihn wegfahren sehen?«
»Nein, nicht einmal gehört. Vielleicht hat er sich im Leerlauf die Straße runterrollen lassen.«
Die Sonne stand im Westen und brannte nicht mehr ganz so heiß, als Bruno in seinen aufgeheizten Transporter stieg. Er öffnete alle Fenster und dachte darüber nach, was als Nächstes zu tun war. Als Erstes würde er seinen Freund Stéphane befragen müssen, und danach wäre es an der Zeit, zur Landkommune von Alphonse hinauszufahren, um diese Todesnachricht zu überbringen. Seufzend machte er sich auf den Weg auf derselben kurvenreichen Straße, die er schon am frühen Morgen auf den Hügel hinaufgefahren war. An einer Gedenktafel, die an zwei junge Männer der Résistance erinnerte -
Fusillés par les Allemands
-, von denen einer Stéphanes Onkel gewesen war, zweigte er ab, überquerte eine kleine Brücke und folgte einem Schotterweg, der an einer schattigen Senke vorbeiführte, die Stéphane als Trainingsgelände an den Motorradclub vermietete. Entsprechend aufgewühlt und lehmig war der Boden. Hinter der Senke, aus der ständig das Heulen überstrapazierter Motoren tönte, breiteten sich Stéphanes Weiden aus, und bald hatte Bruno den alten Hof erreicht, der um neue Ställe, eine moderne Milchküche und ein Käselager erweitert worden war.
Bruno hatte hier schon viele angenehme Abende verbracht und sonntägliche Tafelfreuden genossen, wenn er und Stéphane mit frischer Beute von der Jagd zurückgekommen waren. Im Februar half er immer der Familie beim Schlachten eines ihrer Schweine. Er hatte Dominique beigebracht, die Därme im klaren Wasser des Baches zu waschen, der an der Gedenktafel vorbeiführte. Die Freundschaft zu Stéphane war ihm heilig. Und darauf würde Bruno Rücksicht nehmen, wenn er ihn jetzt zu befragen hatte.
»Salut,
Bruno«, grüßte ihn der große, kräftige Milchbauer im Eingang zur Milchküche. Er hielt einen Schrubber in der Hand, während Dominique mit einem Schlauch den Boden abspritzte. Sie drehte das Wasser ab, kam in ihren großen Gummistiefeln herbeigetappt und umarmte Bruno.
»Wir sind gerade fertig geworden«, sagte Stéphane. »Wie wär's mit einem kleinen
apéro?
Ich glaube, ich hab mir einen Ricard verdient.«
»Jetzt lieber nicht. Ich bin dienstlich hier. Es geht um diese Brandgeschichte. Das Feuer ist offenbar vorsätzlich gelegt worden, und deshalb muss ich alle, die in der Nähe wohnen, fragen, ob sie zur Tatzeit um drei Uhr morgens irgendetwas gehört oder gesehen haben.«
»So früh bin nicht einmal ich auf den Beinen«, sagte Stéphane. »Normalerweise
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