Grand Cru
Saint-Denis lieb und teuer war, verlorengehen könnte?
Es versetzte ihm einen kleinen Stich, als er plötzlich in einem der Einkäufer, die an den Ständen entlangzogen, Bondino erkannte. Bruno fragte sich, ob der Amerikaner wohl die gestrige Ausgabe der
Sud-Ouest
gelesen hatte mit dem Bericht auf der ersten Seite unter der Schlagzeile »Krawalle in Saint-Denis« und einem Foto der Bereitschaftspolizei, die Demonstranten in Handschellen abführte. Bondino trug Jeans und ein Polohemd. Mit seiner Kamera vorm Bauch sah er aus wie ein ganz normaler Tourist. Er kaufte Honig und Bienenwachskerzen von Margot, der Haushälterin des pensionierten Priesters von Saint-Belvédère. Anschließend ließ er sich von Alphonse ein paar
crottins
einpacken, ging dann zügig an dem Mann vorbei, der Muscheln und Austern verkaufte, und kam geradewegs auf Bruno zu.
«Bonjour, Monsieur«,
grüßte er und streckte die Hand aus. »Ein schöner Markt und überhaupt eine schöne Stadt. Saint-Denis hat wirklich Charme.« Er lächelte und entschuldigte sich für sein schlechtes Französisch. Dann zeigte er mit verdutzter Miene auf einen Stand hinter Bruno.
Pierrot hatte seinen Führerschein zurück und kam jetzt wieder regelmäßig mit seiner uralten Schrottmühle auf den Markt, einem Citroën-Bus mit aufklappbarem Seitenteil und vollgestopft mit einem recht ungewöhnlichen Sortiment an Waren: Trauerbekleidung, Filzpantoffeln, bunte Schals und Schürzen, wie sie früher von Bäuerinnen getragen wurden. In kleinen Schubkästen steckte allerlei nützlicher Kram, nach dem man auf anderen Wochenmärkten vergeblich suchte: Farbbänder für Schreibmaschinen, Haken und Ösen, Glühstrümpfe für Paraffinlampen, Stricknadeln oder auch Stopfpilze.
»Pierrots Bus ist gerade für Bauern, die weit außerhalb wohnen, die reinste Fundgrube«, erklärte Bruno. Bondino war sichtlich beeindruckt von Pierrots Auslage, den Handmixern und Dosenöffnern und Blasrohren zur Verabreichung von Medikamenten bei Kühen und Schweinen. Pierrot selbst kümmerte sich kaum um seine Ware. Er saß meist im Café oder half Raouls Kunden bei der Verkostung von Weinen, weshalb er sechs Monate auf seinen Führerschein hatte verzichten müssen.
Bruno verabschiedete sich von Bondino, als der sich am Obststand ein paar der letzten Erdbeeren dieses Jahres abwiegen ließ, und steuerte auf Fauquets Café zu. Lächelnd und mit ausgestreckter Hand kam plötzlich Jacqueline auf ihn zu. Er tippte sich salutierend an die Schirmmütze und schüttelte ihr die Hand.
»Noch nichts eingekauft?«, fragte er mit Blick auf ihre leere Tasche.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin mit jemandem zum Kaffee verabredet«, antwortete sie. »Übrigens, Kompliment, wie Sie auf die Randale bei der Demo reagiert haben.«
»Max scheint Sie früh genug in Sicherheit gebracht zu haben«, sagte er.
Sie zuckte mit den Schultern. »Solche Aufmärsche sind nicht meine Sache. Ich bin nur Max zuliebe mitgegangen. Gentechnik ist für ihn ein rotes Tuch. Und was ist mit Ihnen? Sind Sie im Dienst?«
Er nickte. Auch er wollte gerade eine Kaffeepause einlegen und anschließend ins Büro gehen, um zu sehen, ob Isabelle eine weitere Mail geschickt hatte. Sie wollte ja an diesem Wochenende kommen, hatte aber nichts mehr von sich hören lassen. Seine Handynummer war dieselbe geblieben. Sie wusste, wie sie ihn erreichen konnte. Trotzdem wollte er kurz nachsehen, ob eine neue Mail eingegangen war. Für alle Fälle.
»Ich werde später einem Freund bei seiner
vendange
helfen«, sagte Bruno. »In diesem Jahr ist es zwar noch ein bisschen zu früh dafür, aber er erntet seine Trauben immer stur zur selben Zeit. Danach gibt's einen Riesentopf
cassoulet,
das ist bei ihm Tradition.«
»Kann er noch zusätzliche Helfer gebrauchen?« Sie sprach ein einwandfreies Französisch, hatte aber jenen Quebecer Akzent, der an die Bretonen und Gascogner erinnerte, die im 18. Jahrhundert ausgewandert waren, um in der Neuen Welt ihre
fleur-de-lys
zu pflanzen. »Ich würde schrecklich gern an einer französischen Weinlese teilnehmen. Es wäre das erste Mal für mich.«
Bruno musste seine erste Einschätzung revidieren; wie sich Jacqueline jetzt gab, so voll von jugendlichem Eifer, gefiel sie ihm schon viel besser. Er lächelte sie an. »Aber sicher, er wird sich freuen, wenn Sie mit anpacken. Ich schlage vor, wir trinken vorher noch einen Kaffee bei Fauquet, und ich verrate Ihnen, worauf Sie sich einlassen. Haben Sie überhaupt schon einmal
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