Grand Cru
Wurfgeschosse waren in der Luft, als das erste auf das Glasdach traf, platzte und rote Farbe verspritzte. Ein zweiter Beutel zerriss noch in der Luft und ließ seinen Inhalt auf die Gendarmen und Institutsangestellten hinter dem Tor herabregnen.
Bruno merkte sich, von wo die Beutel geschleudert wurden - das, was offenbar in den Rucksäcken gesteckt hatte -, und drückte dem Bürgermeister das Megaphon in die Hand. An Jules und die Gendarmen gewandt, rief er »Mir nach!« und drängte durch die Menge. Der junge Bursche, der ihm bereits in die Quere gekommen war, holte gerade wieder zum Wurf aus. Bruno packte ihn beim Arm und zerrte ihn zu Boden. Der Farbbeutel platzte und besudelte die, die hinter ihm standen. Bruno riss ihm den Rucksack von den Schultern, nahm einen Beutel heraus und kippte den Inhalt über den jungen Mann am Boden aus. Dann drehte er sich um, schleuderte den Beutel, den er in der Hand hielt, einem anderen Kapuzenträger entgegen und nahm in Kauf, dass der Gendarm, der diesen schon am Schlafittchen hatte, die halbe Ladung abbekam.
Jules hatte seinerseits einen Burschen im Schwitzkasten, während ein dritter vor zwei Gendarmen Reißaus nahm. Die Rugbyjungs machten sich über andere her. Aus allen Richtungen spritzte rote Farbe. Die Schlachtrufe waren verstummt, die Menge löste sich hektisch auf. Einer der Rowdys kam auf Bruno zugerannt und führte den Stock seines Transparents wie eine Lanze. Bruno wich aus, packte den Stock und hebelte den Burschen aus, so dass dieser in vollem Lauf zu Boden ging.
Mit dem Krawall war es plötzlich vorbei. Der Bürgermeister bestieg die Trittleiter und hob das Megaphon an den Mund. Doch was er zu sagen hatte - nämlich dass Klage eingereicht worden sei -, schien kaum jemanden zu interessieren. Die Menge lief auseinander. Max hatte seinen Arm schützend um Jacquelines Schulter gelegt und führte sie zurück in die Stadt. Dominique kümmerte sich um einen älteren Mann, der auf dem Boden hockte und sich den Kopf hielt. Die Randalierer waren von den Gendarmen und den Rugbyspielern eingekesselt.
Bruno drehte sich um, trat unversehens in eine Farbpfütze und rutschte aus. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre der Länge nach hingeschlagen. Und ausgerechnet in diesem Moment, als er sich mit wilden Verrenkungen auf den Beinen zu halten versuchte, zuckten Blitzlichter auf. Natürlich, die Demonstranten hatten die Presse informiert. Bruno öffnete das Tor und ließ die Festgenommenen auf den Hof führen, wo ihnen Handschellen angelegt wurden.
Mit Sirenengeheul und quietschenden Bremsen hielt ein großer dunkelblauer Bus mit abgedunkelten Fensterscheiben am Straßenrand an. Als die Tür aufging, sah Bruno den
brigadier
neben dem Fahrer stehen, festgeklammert an einer Haltestange. Jeweils zu zweit sprangen insgesamt dreißig ganz in Schwarz gekleidete Gestalten aus dem Bus und bildeten davor eine wie mit dem Lineal gezogene Reihe. Sie trugen Helme und Schutzwesten, Schilde und Knüppel. Die
compagnies républicaines de sécurité,
die gefürchtete mobile Einsatzpolizei Frankreichs, war mit einer Truppe harter, durchtrainierter und mitleidloser Männer angerückt.
Die Demonstranten hatten es plötzlich eilig, die in der Stadt parkenden Busse zu erreichen. Zurück blieben etliche weggeworfene Rucksäcke, aus denen Farbe sickerte; und die beiden Politiker, die den Zug angeführt hatten und nun, von oben bis unten mit Farbe bekleckert, der reglosen Phalanx der Einsatzpolizei gegenüberstanden. Inzwischen war auch der
brigadier
aus dem Bus gestiegen. Er schaute sich um und nickte Bruno anerkennend zu.
»Es scheint, Sie sind allein zurechtgekommen. Dass ich Verstärkung geholt habe, war offenbar nicht nötig«, sagte er und betrachtete die roten Lachen auf der Straße. »Hoffentlich behauptet niemand, dass wir hier ein Blutbad angerichtet hätten.«
»Wer so was behaupten würde, stünde anschließend ziemlich dumm da. Die Überwachungskameras des Forschungsinstituts haben alles aufgenommen.«
Der
brigadier
nickte. »Ich übernehme die Festgenommenen. Wie viele sind es? Ich sehe da acht oder neun. Sachbeschädigung und Landesfriedensbruch, das sollte für eine Anklage reichen. Ich werde die Verhöre selbst durchführen und ihre Wohnungen durchsuchen lassen. Aus den Handys und Computern, die wir konfiszieren, werden wir wohl jede Menge Adressen herausbekommen. Vielen Dank, Bruno, es hat sich gelohnt. Und ihre kleine Stadt ist bemerkenswert ruhig geblieben.«
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher