Grand Cru
möchte Sie ausdrücklich darauf hinweisen, dass Ihre Verdächtigen Alphonse und Dominique nichts mit den Krawallen zu tun hatten.«
Der
brigadier
zog die Augenbrauen hoch, drehte sich um und setzte die Einsatzkräfte in Bewegung. Im Gleichschritt trabten sie auf den Hof des Forschungsinstituts, um die Festgenommenen abzuführen. Wieder an Bruno gewandt, sagte der
brigadier.
»Würden Sie mich jetzt bitte Ihrem Bürgermeister vorstellen?«
16
Anders als die meisten französischen Kleinstädte hatte Saint-Denis nicht nur einen Wochenmarkt, sondern gleich zwei. Auf diese Besonderheit machte Bruno gern aufmerksam, wenn von seiner Stadt die Rede war, obwohl er selbst nur selten Zeit fand, den zu Recht berühmten Alten Markt zu besuchen, der nach königlichem Erlass seit 1347 an jedem Dienstag stattfand. Dafür besuchte er samstags in aller Regelmäßigkeit den sogenannten Neuen Markt, der 1807 von einem der neuen Präfekten des Kaisers Napoleon eingerichtet worden war, erstens, weil er Geld für den Bau der neuen Steinbrücke brauchte und weil er, zweitens, dem Cousin seiner Frau, der eine Weberei betrieb, Kunden zuführen wollte. Ein zweiter Markt, der die Zolleinnahmen an der Brücke und den Absatz an Wollstoffen verdoppeln würde, war also aus wirtschaftlichen Gründen eine gute Idee. Tatsächlich aber blieben die Umsätze des Samstagsmarktes weit hinter den Erwartungen des Präfekten zurück. Es fanden sich von Anfang an zu wenige Händler, die an diesem Tag ihre Stände aufbauen mochten.
Gleichwohl hatte der Neue Markt überlebt, wenn auch nicht als großes Geschäft, so doch als eine gerngesehene und nützliche Bereicherung des städtischen Lebens. Bruno bewunderte die Geduld und Ausdauer seiner Betreiber. Verglichen mit dem großen Markt am Dienstag mit seinen über hundert Ständen, die den Platz vor der
mairie
füllten und sich entlang der gesamten Rue de Paris bis hin zum Paradeplatz vor der Gendarmerie reihten, war der Samstagsmarkt eine eher familiäre Veranstaltung. Selten wurden mehr als ein Dutzend Stände aufgebaut; dafür reichte der kleine Parkplatz, auf dem wochentags der Bürgermeister und sein Personal ihre Autos abstellten. Im Winter rückte man unter den Arkaden des Bürgermeisteramtes zusammen und wärmte sich an dem Kohlenbecken, das Brunos kleiner Beitrag für den Fortbestand dieser Tradition war.
Bruno traf hier seine Freunde, so auch an diesem stillen Septembermorgen. Stéphane und seine Tochter Dominique verkauften Milch, Käse und Joghurt. Gleich daneben schenkte Raoul, der Weinhändler, seine Kostproben aus, und auf dem Stand von Yves türmten sich Obst und Gemüse. Der Fischhändler und der
charcutier
stritten sich um den günstigsten Standplatz am Rande der Brücke. Die alte Marie war mit ihren Enten, Eiern und
magrets
wie immer unter dem ersten Brückenbogen, wo sie ihre fetten Gänselebern in einer Kühlbox versteckt hielt, weil deren Verkauf nicht ganz legal war. Die dicke Jeanne schob sich mit ihrer ledernen Geldtasche von Händler zu Händler, begrüßte jeden mit
bisous
und kassierte die von der Stadt erhobene Standgebühr.
Die Luft war frisch, und die Sonne schien angenehm warm, so dass Fauquet bislang darauf verzichten konnte, die Sonnenschirme über den Tischen vor seinem Café aufzuspannen. Es hatten sich schon ein paar Gäste eingefunden, die Zeitung lasen und Croissants knabberten. Auf den Wellen der Furt, wo der Fluss nahe dem Ufer über Kieselsteine sprang, tanzten unzählige Lichter. Ein Stück weiter unten tränkten Reiter ihre Pferde, vor denen gerade eine Entenflottille entlangpaddelte. Die Zeiger der Uhr über dem Portal der
mairie
standen auf zehn, und die Glocken der Kirche an der Rue de Paris fingen zu läuten an.
Bruno stand auf den Eingangsstufen des Bürgermeisteramtes, nahm die vertraute Szene mit ihren gemächlichen Abläufen in sich auf und genoss wieder einmal das Gefühl, in den Rhythmen seiner Wahlheimat mitzuschwingen. Er kannte alle Händler persönlich, auch die meisten ihrer Kunden und sogar manches Geheimnis aus ihrem Leben. Was würde Bondino an Veränderungen mit sich bringen? Es gäbe gewiss mehr Jobs und Geld und wahrscheinlich auch mehr amerikanische Touristen, und womöglich würden an einem besonders prächtigen Stand Bondino-Weine zu kaufen sein, eine harte Konkurrenz für Raouls Auswahl an Bergerae-Weinen. Doch damit konnte man leben. Warum also hatte er, Bruno, so viele Bedenken? Warum hatte er Angst, dass vieles von dem, was ihm an
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