Grand Cru
Scheune. Auf der Werkbank dahinter lagen ölverschmierte Lappen, Werkzeug, ein Reparaturhandbuch und Motorradmagazine. Vor der Wand gegenüber stand ein Regal. Es war mit allerlei Kram vollgepackt - bis auf eine freie Stelle auf dem oberen Bord, eine Lücke, die Bruno neugierig machte. Er stieg auf eine Kiste und sah in der dicken Staubschicht auf dem Holzbrett einen rechtwinkligen Abdruck mit abgerundeten Ecken. Vielleicht von einem Benzinkanister, dachte er. Er nahm sein Bandmaß aus der Tasche, notierte sich Länge und Breite der Umrisse und fertigte eine Skizze an. Als er wieder vor der Werkbank stand, fiel ihm ein Papierschnipsel zwischen den schmierigen Seiten des Reparaturhandbuches auf, eine Quittung von Lespinasse' Tankstelle für
mélange,
das Öl-Benzin-Gemisch für alte Motorräder.
Mit seiner Skizze des Abdrucks in der Tasche machte sich Bruno auf den Weg zur Total-Tankstelle an der Straße nach Bergerac. Die Schwester von Lespinasse kümmerte sich um einen Touristen, der vor die Zapfsäule gefahren war, um aufzutanken. Die meisten Einheimischen tankten am Supermarkt, wo der Liter Benzin drei Cent weniger kostete, was eine Tankfüllung gut einen Euro günstiger machte. Lespinasse aber verdiente ohnehin nicht am Verkauf von Benzin, sondern an seiner Arbeit als Kfz-Mechaniker. Sein Sohn Edouard ging ihm zur Hand und war im Umgang mit Motoren schon fast so geschickt wie sein Vater. Bevor Bruno die große Werkstatt aufsuchte, wo Lespinasse nicht zuletzt auch seinem Steckenpferd nachging, nämlich der Restaurierung alter Citroens, machte er einen Abstecher in den kleinen Verkaufsraum neben dem Büro, um sich die
bidons,
die Reservekanister, anzusehen. Es gab sie in zwei Ausführungen, eine in Kunststoff, die andere in Metall. Er faltete seine Skizze auseinander und verglich. Der Metallkanister passte perfekt.
Vater und Sohn arbeiteten an einem auseinandergenommenen
traction-avant,
jenem Citroen-Klassiker aus den dreißiger Jahren, der schon in den alten französischen Polizeifilmen, die Bruno so sehr liebte, eine Hauptrolle gespielt hatte. Im Hintergrund plärrte ein Kofferradio, das eine Anrufsendung auf France-Inter übertrug. Lespinasse lag unter dem aufgebockten Fahrgestell und fluchte vor sich hin, was Edouard, der ihm das Werkzeug reichte, offenbar köstlich amüsierte. Bruno wollte die beiden nicht stören und ließ den Blick durch die Halle schweifen, über Dutzende von Fahrrädern, die an Touristen vermietet wurden, und all die Renaults und Peugeots, die auf ihre Inspektion warteten. Ein Fahrzeug der Stadtwerke, hoch oben auf der Hebebühne, zeigte Bruno seine Unterseite. Dahinter reihten sich drei Geländemaschinen, die mit ihren Stollenprofilen und hohen Schutzblechen selbst im Stehen schnell aussahen. Ganz vorn stand über einer fast vollen Auffangschale, die unter den tropfenden Motor geschoben worden war, Cresseils altehrwürdiges Motorrad.
»Merde,
verdammte!« Lespinasse kroch unter dem alten Citroën hervor, saugte an einem angeschlagenen Fingerknöchel und winkte Bruno mit einem großen Schraubenschlüssel zu.
»Ca
va,
Bruno?«
»Hast du einen Moment Zeit?«, fragte Bruno zurück und schüttelte ihm statt der ölverschmierten Hand den Unterarm. Edouard begrüßte Bruno mit Wangenküssen.
»Wie ich sehe, steht Cresseils Motorrad bei euch. Seit wann?«
»Es gehörte eigentlich Max. Wir haben zusammen daran herumgeschraubt«, antwortete Edouard. »Aber es fehlten die richtigen Ersatzteile. Wir mussten uns mit anderen Teilen behelfen, und die waren schnell wieder kaputt. Es müssten auch neue Kolbenringe rein, aber jetzt, wo Max tot ist, hab ich keine Lust dazu. Ich kann's immer noch nicht glauben, Bruno. Wir sind zusammen zur Schule gegangen.«
»Ja, tragisch, was passiert ist. Und wie es passiert ist. Ich wusste gar nicht, dass man auf so eine Art sterben kann«, sagte Edouards Vater. Er wandte sich an seinen Sohn: »Bei ihm steht doch noch dein altes Motocross-Bike. Sieh zu, dass du es zurückholst.«
Bruno horchte auf. »Max hat sich eine Geländemaschine von dir ausgeliehen?«
»Meine alte Kawasaki«, antwortete Edouard. »Sie war ein bisschen zu klein für ihn, aber er brauchte sie, weil seine Karre nicht mehr lief.«
»Wann war das? Wann hast du sie ihm gegeben?«
»Vor ein, zwei Wochen. Aber eigentlich konnte er sie jederzeit haben. Wir waren schließlich gute Freunde.«
»Wann genau? Versuch dich zu erinnern.«
»Am Wochenende vor dem Brand. Wir haben diesen neuen
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